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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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peinlichen Verhör geführt wurde, hatte der kleine Gelehrte stets »Mach dir keine Sorgen, Unkraut vergeht nicht!« gerufen, weshalb Vitus ihn irgendwann halb tröstend, halb bewundernd mit »Du Unkraut« ansprach. Der Magister wiederum sagte dasselbe zu Vitus, denn auch dieser hatte grausam unter Daumenschrauben und Stachelstuhl gelitten. Seitdem waren sie unzertrennlich. Sie hatten zusammen Schiffskatastrophen, Raubüberfälle, Pestseuchen, Hungersnöte, Gewaltmärsche, Mordanschläge und manches mehr überlebt, und immer hatte der eine dem anderen zur Seite gestanden. Selbst Vitus’ glückliche Ehe mit Nina hatte ihrer Freundschaft keinen Abbruch getan.
    »Und wohin werden deine Reiseschuhe dich führen?« Der Magister blinzelte heftig, und das nicht nur, weil er kurzsichtig war.
    »Du bist der Erste, dem ich es sage.«
    »Das ehrt mich.
Honos reddatur dignis.
«
    »Ich werde in wenigen Tagen nach Portsmouth reisen und an Bord der
Falcon
gehen, genauer gesagt, am vierzehnten Mai. Taggart und ich haben von höchster Stelle den Auftrag erhalten, in See zu stechen und das Herannahen der Armada frühzeitig auszuspähen. England ist in höchster Gefahr. Alle Kräfte müssen gebündelt werden, um den Feind abzuwehren. Je eher, desto besser. Denn eines ist klar: Er wird kommen. Vielleicht ist er sogar schon unterwegs.«
    Der Magister nickte schwer.
    »Ich weiß nicht, ob der Zwerg diesmal mitfahren wird, ich meine wegen Nella. Die letzten Jahre ist er nicht von ihrer Seite gewichen, weil er seine Vaterrolle sehr ernst nimmt.« Vitus machte eine Pause und lächelte. »Wir werden deshalb wohl auf seine Gesellschaft verzichten müssen.«
    Der Magister schwieg.
    »Es kommt natürlich alles ein bisschen plötzlich, aber Walsingham und Lordadmiral Howard haben die Sache äußerst dringlich gemacht. So dringlich, dass ich keine Wahl hatte, ich musste zustimmen. Taggart soll nicht mehr und nicht weniger, als dem Teufel ein Ohr absegeln, damit er so schnell wie möglich vor Spaniens Küste kommt, und ich soll mich derweil um seine Knie kümmern, damit er nicht wieder ausfällt. Die
Falcon
ohne Taggart ist wie ein Rennpferd ohne Beine. Ich bin sozusagen als sein Leibarzt mit an Bord. Das Wohl und Wehe von über drei Millionen Engländern hinge von dieser Mission ab, so drückte Howard sich aus. Klingt etwas dramatisch, das Ganze, aber ich fürchte, er hat recht.«
    »Ja«, sagte der Magister.
    »Du kennst ihn ja fast ebenso gut wie ich. Gemeinsam werden wir seine Kniegelenke schon im Lot halten, was?« Vitus stieß dem Magister aufmunternd in die Seite.
    »Hm.«
    »Hör mal, mein Alter, ist irgendetwas? Nina meinte vorhin, du wärst in letzter Zeit etwas, äh, angespannt?«
    »Nein, nein.« Der Magister griff sich ans Nasengestell und rückte seine Berylle zurecht. »Es ist nur so, dass ich vorhin ebenfalls der Heckenbraunelle hinterhergeschaut habe.«
    »Natürlich, ja und?«
    »Tja …«
    »Was, tja …?«
    »Mich juckt es auch in meinen Reiseschuhen.«
    Vitus brauchte einen Augenblick, um zu begreifen. Dann platzte er heraus: »Aber das ist ja großartig! Ich dachte schon, du hättest irgendetwas. Ich dachte schon, du kämst nicht mit.«
    »Ich komme auch nicht mit.«
    »Wie bitte? Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«
    Der Magister machte eine hilflose Geste. »Ich bin zwar schon ein halber Engländer, aber im Grunde meines Herzens immer noch Spanier. Ich werde zurück nach La Coruña gehen. Dorthin, wo ich herkomme. Ich will versuchen, meinem Land in der kommenden Zeit zu dienen.«
    Unwillkürlich rückte Vitus ein wenig ab. »Willst du damit sagen, die Sache Englands sei nicht gerecht? Willst du die Rolle Spaniens damit billigen? Spanien ist der Angreifer in diesem Fall!«
    Der Magister zuckte hilflos mit den Schultern. »Glaub nicht, dass ich es mir leicht gemacht habe. Aber wie sagt ihr Engländer so richtig:
Right or wrong, my country.
«
    Vitus konnte es noch immer nicht fassen. »Aber Philipp II . lädt seit Jahren Schuld auf sich. Er bekriegt die Niederlande, zerstört Städte, verwüstet Landstriche, unterbindet den Handel. Und das alles vor Englands Haustür. Damit nicht genug, will er jetzt auch uns unterjochen. Meine Landsleute! Meine Familie! Mich! Tausende, wenn nicht Zehntausende werden auf beiden Seiten sterben, nur weil dieser Verblendete uns allen den katholischen Glauben zurückbringen will.«
    »Du warst doch auch einmal katholisch, damals, als Schüler im Zisterzienserkloster Campodios.«
    »Und heute

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