Die Liebe des Wanderchirurgen
klang bitter. »Das heißt, wir trennen uns in aller Freundschaft, und wenn wir uns demnächst auf dem Schlachtfeld wiedersehen, schlagen wir uns in aller Freundschaft die Köpfe ein?«
»Auf dem Schlachtfeld? Was heißt das?«
»Ach, nichts. Komm in meinen Arm, so wie früher. Und dann schlafen wir. Morgen sieht alles besser aus.« Vitus wollte Nina an sich ziehen, doch sie sträubte sich. »Du hast eben gesagt, ihr würdet euch auf dem Schlachtfeld die Köpfe einschlagen. Was hat das zu bedeuten?«
Er lachte verlegen. »Nun, irgendwann muss ich es dir ja sagen: Es heißt, dass auch ich fortgehen werde. Ich werde dem Feind entgegensegeln.« Dann erzählte er ihr von dem Auftrag, den Taggart und er zu erfüllen hatten.
»Nein«, sagte Nina.
»Was meinst du mit ›nein‹?«
Sie blickte ihn direkt an. Die bernsteinfarbenen Sprenkel in ihren Augen sprühten. »Ich will nicht, dass du fortgehst!«
»Es muss sein.«
»Gar nichts muss sein! Bitte bleib hier!«
»Aber Nina …«
»Du bist zweiunddreißig Jahre alt, du hast Familie, eine Frau und drei prächtige Kinder, du hast ein Schloss, einen Gutshof, Dörfer, Äcker, Wiesen, Weiden, du hast Freunde, Bekannte, Bedienstete, du hast Verantwortung, hast Verpflichtungen. Lass andere in den Krieg ziehen, Jüngere, dein Maß an Abenteuern ist lange voll.«
Vitus schlug die Augen nieder. Selten hatte er Nina so aufgeregt erlebt. »Es geht nicht.«
»Natürlich geht es. Du musst nur zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem unterscheiden. Du willst doch nicht behaupten, dass der Krieg wichtiger ist als die Kinder und ich?«
»Nein, nein.«
»Oder liebst du mich etwa nicht mehr?«
»Doch, doch, mehr als ich je auszudrücken vermag.« Er zog sie an sich, und diesmal ließ sie es geschehen.
»Dann bleib hier. Kümmere dich um uns – und um sonst gar nichts.«
Vitus umschlang sie noch enger. »Nur dieses eine Mal muss ich noch fort.«
»Nein.«
Er spürte, wie sie sich steif machte. »Bitte, Liebste. Es geht nicht anders. Versteh doch. Ich bin … im Wort.«
»Dann geh doch!« Sie stieß ihn von sich, schluchzte auf, trommelte mit den Fäusten auf seine Brust. »Mach, dass du fortkommst, spiele deinen verdammten Krieg, töte und werde selbst getötet, oh, oh, oh …« Sie hatte sich abgewandt und zuckte am ganzen Körper.
»Liebste, ich …«
»Du wirst nicht wiederkommen, ich weiß es genau, ich werde dich nie wiedersehen, die Kinder und ich werden dich nie wiedersehen, oh …«
In ihr Schluchzen hinein erklang das Plärren der kleinen Jean.
»Da siehst du, was du angerichtet hast!«
»Es tut mir leid.« Niemals zuvor war er sich so hilflos vorgekommen.
»Verlasse mein Schlafgemach.«
»Es ist auch mein Schlafgemach. Bitte lass uns noch einmal darüber reden.«
»Nein.«
»Bitte, Liebste. Wir hatten uns einmal vorgenommen, niemals im Streit einzuschlafen.«
»Nein.«
»Wie du willst.« Er nahm sein Bettzeug und ging in den angrenzenden Raum.
Am anderen Morgen fand das Morgenmahl in eisiger Atmosphäre statt. Den Kindern zuliebe versuchten Vitus und Nina, sich nichts anmerken zu lassen, aber natürlich gelang ihnen das nicht, und Odo und Carlos fragten ein ums andere Mal, was denn los sei. Auch der hochnäsige Hartford rätselte insgeheim, was seine Herrschaft bewegte, denn niemals zuvor hatte er sie so erlebt. Schließlich räusperte er sich und sagte: »Es ist neun Uhr, Mylord, der Herr Magister bat mich, Euch zu diesem Zeitpunkt etwas zu überreichen.«
Erst jetzt fiel Vitus auf, dass der kleine Gelehrte am Tisch fehlte. »Was ist es denn, Hartford?«
»Vermutlich eine Nachricht, Mylord.« Mit spitzen Fingern überreichte der Diener das Papier.
Vitus erbrach das Siegel und las:
Ich habe nur das mitgenommen, was ich auf dem Leibe trage. Catfield hat von mir den Gegenwert für ein gutes Pferd und einen Sattel erhalten. Der Allmächtige möge über uns wachen und uns eines Tages wieder zusammenführen.
Verzeih mir.
Ramiro
»Was schreibt er denn?«, fragte Nina in die Stille hinein.
Vitus übergab das kleine Papier.
»Ja, was schreibt er denn?«, krähte Odo, der selbst schon ein paar Buchstaben niederkritzeln konnte.
»Der Magister wird für einige Zeit fort sein«, sagte Nina.
»Wann kommt er denn wieder?«, fragte Carlos mit vollem Mund.
»Das wissen wir nicht genau.«
»Er soll wiederkommen!«
»Ja, er soll wiederkommen!«, krähte Carlos. »Er ist so lustig und nett! Wann kommt er denn
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