Die Liebe des Wanderchirurgen
Captain dreimal zum Großvater gemacht, Josy leider kein einziges Mal. Nun ja, das nur nebenbei. Außer dem Gesinde leben auf dem Taggart’schen Gut mithin nur noch vier Personen: Der verkrüppelte Sohn Connor, der inzwischen – lasst mich nachdenken – siebenunddreißig Jahre zählen müsste und leider noch immer unverheiratet ist, Maggy, die Gutsherrin, der Captain und meine Person. Was unser aller Verhältnis zueinander angeht, so darf ich sagen, dass es ein sehr gutes ist. Selbstverständlich sind wir alle per Du, was den täglichen Umgang miteinander durchaus erleichtert. Natürlich gilt das nur für den privaten Bereich. Ihr mögt das schon daran erkennen, Sir, dass der Captain und ich uns stets im Dienst ihrzen … Sir? … Ist etwas, Sir? Ihr sagt ja gar nichts?«
»Ich nahm an, Ihr wärt noch nicht fertig.«
»Sehr freundlich von Euch, mich nicht zu unterbrechen, Sir. In der Tat bin ich noch nicht fertig. Wenn ich über die eben genannten Dinge nicht näher gesprochen habe, so will ich das gern und ausführlich – Euer Interesse vorausgesetzt – an anderer Stelle nachholen. Vielleicht zu einem günstigeren Zeitpunkt. Sprechen allerdings muss ich mit Euch über den Gesundheitszustand des Captains. Ihr wisst um diese leidige Kniegeschichte. Wenn Ihr ihn fragen würdet, und ich bitte Euch, es nicht zu tun, wie es seinen Beingelenken geht, würde er selbstverständlich antworten, dass mit ihnen alles zum Besten steht – genau das aber wäre gelogen, äh, sagen wir lieber: nicht ganz richtig. Professor Banester in London hat sich in der Vergangenheit zwar alle Mühe gegeben und seine ganze Heilkunst aufgewandt, um eine Besserung herbeizuführen, aber es ist ihm nur vorübergehend gelungen. Anders formuliert: Die Knie zwicken nach wie vor. Es ist, um der Wahrheit die Ehre zu geben, wohl etwas besser geworden, aber von einem Heilungserfolg kann leider keine Rede sein.«
»Als der Captain heute Mittag ankam, schien er aber ganz normal zu gehen.«
»Das ist es ja gerade, Sir! Der Captain beißt die Zähne zusammen, tut so, als wäre nichts, und leidet insgeheim Höllenqualen. Ich bitte Euch, lasst Euch nicht von dem oberflächlichen Eindruck täuschen und unternehmt etwas gegen die Schmerzen.«
»Ich werde sehen, was ich machen kann. Aber zu einer erfolgreichen Behandlung gehören immer zwei: Einer, der behandelt, und einer, der sich behandeln lässt.« Vitus dachte, dass schmerzende Gelenke zu den größten Herausforderungen eines Arztes gehörten. Wenn es stimmte, was Tipperton sagte, hatte er eine mehr als schwierige Aufgabe vor sich.
Tipperton wedelte wichtig mit dem Zeigefinger. »Wenn der Captain überhaupt auf jemanden hört, dann auf Euch, Sir. Bevor wir hierherritten, sagte er zu mir: ›Der Cirurgicus soll bloß die Finger von meinen Beinen lassen‹, aber er fügte auch hinzu: ›Verflucht sei die Stunde, in der Gott die Knie erschaffen hat.‹ Und ich antwortete ihm: ›Taggart, du solltest mehr auf deine Gesundheit achten, als auf die Rufe eines Howard und Walsingham zu hören. Bleib zu Hause, zumal deine Frau krank ist und dich braucht.‹«
»Wie, des Captains Frau ist krank?«, fragte Vitus aufgeschreckt. Er kannte Maggy als eine fröhliche Frau, die vor sieben Jahren bei seiner Hochzeit bis in den Morgen hinein getanzt hatte – allerdings nicht mit ihrem Gatten, der sich höchst ungern aufs Parkett begab.
»Sie hat es auf der Brust«, antwortete Tipperton, »aber sie sagt, es sei nichts, und Taggart hat es ihr nur zu gern geglaubt. Nichts konnte ihn auf der heimischen Scholle halten, er wollte unbedingt los.«
Genau wie ich, dachte Vitus schmerzlich. Was Nina wohl in diesem Augenblick macht?
»Lasst Euch, um Gottes willen, nicht anmerken, Sir, dass Ihr wisst, wie es um des Captains Gelenke steht. Ich käme in Teufels Küche. Es soll unser Geheimnis bleiben, einverstanden?«
Vitus zögerte, dann nickte er. »Einverstanden.«
»Ich danke Euch für Eure Verschwiegenheit, Sir, und ich danke Euch ebenfalls dafür, dass ich die Hintergründe für meine delikate Bitte in der gebotenen Kürze schildern konnte.« Tipperton erhob sich. »Ich darf mich empfehlen und wünsche Euch noch einen guten Tag. Ach, übrigens, ich war niemals hier in Eurer Kajüte, versteht Ihr?«
»Nein, das wart Ihr nicht«, murmelte Vitus nachdenklich. Dann schloss er die Tür hinter dem Schreiber und setzte sich wieder. Er musste das, was Tipperton erzählt hatte, erst einmal verdauen.
Tipperton und
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