Die Liebe des Wanderchirurgen
Schwärze des Raums und hatte sich fallen lassen. Er war weich gefallen, auf irgendetwas, das einen Laut von sich gab. Er hatte sich zu Tode erschreckt und eine Weile stumm und regungslos dagelegen. Dann hatte er sich getraut, die Kerze neu zu entzünden. Und dann hatte er die Frau erblickt.
Odder war einiges gewohnt, denn er hatte ein bewegtes Leben hinter sich, aber als er die Frau sah, war ihm fast schlecht geworden. Wie eine Mumie hatte sie ausgesehen, mit einem Gesicht wie ein Totenkopf. Ihre Augen waren leer gewesen, ihre Lippen geöffnet wie zum Schrei, ihre Zähne zum Teil ausgeschlagen, ihre Haare voller Spinnweben und widerlicher Asseln.
Die Frau hatte genauso entsetzt geguckt wie er.
Er hatte einen Moment gebraucht, um zu begreifen, dass sie ihn genauso ekelerregend fand. »Hab keine Angst«, hatte er geflüstert, »Odder tut dir nix.« Aber die Frau hatte die Augen geschlossen und ihn nicht weiter beachtet. Da war er gegangen, jedoch nicht, ohne die Tür vorher abgeschlossen zu haben.
Am nächsten Tag war er wiedergekommen, und die Frau hatte dagelegen, als hätte sie sich keinen Zoll von der Stelle gerührt. Er hatte etwas Wasser mitgebracht und etwas Pökelfleisch, und die Frau hatte sogar von beidem genommen, aber gesagt hatte sie nichts.
Von dem Tag an hatte Odder immer an sie denken müssen, jedenfalls immer dann, wenn er nüchtern war, und er hatte sich ausgemalt, wo sie wohl herkam und was sie auf das Schiff verschlagen hatte.
Auch heute fragte er sich das. Wieder hatte er etwas Pökelfleisch aufgetrieben und etwas zu trinken. Diesmal jedoch eine Kanne Wein. Er fand, es betrank sich netter zu zweit. »Ich bin’s, Odder«, flüsterte er verschwörerisch, während er die Tür aufschloss. »Haste schon auf mich gewartet?«
Die Frau lag da und antwortete nicht, und Odder machte erst einmal Licht. Er hatte nicht weniger als drei Kerzen mitgebracht, die er nacheinander abbrennen wollte, denn er gedachte, länger zu bleiben. »Hab wieder was zu beißen dabei, is alles für dich, hab mirs Fressen schon seit langem abgewöhnt, weißte. Ich nehm dafür ’n guten Schluck. Kannst auch was abkriegen, musst’s nur sagen. Was, das willste nich? Auch gut, dann kriegste nix.«
Odder trank einen kräftigen Schluck und spürte, wie es ihm gleich besserging. »Von dem Fleisch willste wirklich nich? Mädel, Mädel, mach kein’ Kokolores, bist ja fast so dürr wie ich. Solltest essen, ja, das solltest du.«
Die Frau sagte nichts. Odder vergaß sie und dämmerte vor sich hin. Dann zischte die Kerze, und er wachte wieder auf. »Da biste ja immer noch, un hast immer noch nix gespachtelt. Na, jeder, wie er will. Un ich will erst mal noch ’n Schluck.« Odder trank. »Weißte, ich muss aufpassen, dass ich nich zu schnell sauf, wenn ich zu schnell sauf, hör ich immer Töne, so welche, die ich nich kenn, weißte. Wenn ich’s mir recht überleg, hab ich schon ’n paarmal gehört, wie du geweint hast, hab aber immer gedacht, ’s wärn die Töne vom Suff. Der Suff kann einem böse Streiche spieln, wenn man nich aufpasst. Vor ’n paar Tagen isses mir passiert, da hat mich dieser Cirugu …, dieser Curirgi … dieser neue Arzt geschnappt un in ’n Loch mit alten Tauen gesperrt, aber als er weg war, hab ich ihm ’ne Nase gedreht un bin abgehauen. Hatte ja meinen Unviversalschlüssel dabei, hihi.«
Die Frau sagte nichts. Sie atmete schwer.
»Wart mal.« Odder kroch auf allen vieren zur Tür und schloss sie von innen. »Is sicherer, weißte. Durch ’ne zue Tür kann keiner kucken.«
Die Frau zuckte mehrmals zusammen. Odder sah es daran, dass sich ihr Lumpenkleid ruckartig bewegte. »Haste öfter solche Zuckungen? Brauchst keine Angst nich haben, vor Odder braucht keiner Angst nich haben. Ich bin ’n Verlorener, weißte, ’s hat mal ’n Reverend zu mir gesacht. ›Ihr seid ein Verlorener‹, hat er zu mir gesacht un gleich mit’m Beten angefangen. Mir war’s egal, beten hilft auch nich, aber sein Messwein hat mächtig gut geschmeckt.«
Die Frau begann leise zu wimmern.
»Ja, das isses, das hab ich immer im Suff gehört. Weinst häufig, was? Bist verzweifelt, wie? Brauchst keine Angst nich haben, vor Odder braucht keiner Angst nich haben. ’n Verlorener tut ’ner Verzweifelten nix! Selbst wenn ich Lust hätt, es mit dir zu treiben, würd ich’s nich tun, Ehrensache, verstehste?«
Nach dieser Rede fühlte sich Odder etwas erschöpft. Er trank einen kräftigen Schluck aus der Weinkanne und nickte
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