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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Taggart waren Duzfreunde!
    Tipperton kannte Taggart von Kindesbeinen an!
    Vitus wollte nach dem Werk
De morbis
greifen, stellte aber fest, dass es unten im Behandlungsraum des Schiffs lag. Wenn er nachschlagen wollte, was die alten Meisterärzte bei Gelenkverschleiß empfahlen, musste er sich hinunterbemühen.
    Er stieg also die Niedergänge hinab und betrat den Arztraum. Im Schein einer Laterne setzte er sich auf den Spezialstuhl und nahm das zwölfhundert Seiten starke Werk in die Hand. Er erinnerte sich, dass Pater Thomas, der Arzt und Prior von Campodios, der einmal sein Lehrmeister gewesen war, stets von zweierlei Zuständen des Gelenkverschleißes gesprochen hatte: dem beschwerdefreien und dem schmerzenden. Die Behandlung sah unterschiedliche Wege vor, aber welche das waren, wusste er nicht mehr. Es lag schon mehr als vierzehn Jahre zurück, dass Pater Thomas darüber referiert hatte.
    Was würden die alten Ärzte zu dem Problem sagen?
    Vitus blätterte geduldig, schlug nach bei Susruta von Benares, forschte bei Hippokrates von Kos und studierte die Abhandlungen des Galenos von Pergamon, doch so viel er auch las, eine gezielte Therapie gegen entzündete Gelenke fand er nicht – bis er auf ein Kapitel des Arztes und Alchemisten Arnaldus de Villanova stieß, der um 1300 erstmals aus verschiedenen Flechtenarten ein Reagens namens Lackmus hergestellt hatte. Arnaldus berichtete unter anderem über die Verfärbung des Lackmus in Verbindung mit Harn und wies auf diese Weise im »menschlichen Wasser« Säure nach. Damit nicht genug, stellte er Vermutungen über den Zusammenhang der Harnsäure mit der Arthritis an und empfahl gegen dieses Leiden mehrere Heilpflanzen, darunter Brennnessel, Heublumen und Arnika. Dazu Wärme oder Kälte, je nach Befinden des Patienten.
    Vitus klappte das Buch zu. Er hatte das Gefühl, einen Schritt weiter zu sein, für den Fall, dass Taggart seiner Hilfe bedurfte. Noch schien es nicht so weit zu sein – trotz der mahnenden Worte Tippertons. Was Professer Banester, sein alter Examinator, wohl verordnet hatte? Ob Tipperton das wusste? Taggart jedenfalls, so viel war klar, würde über die Behandlung, die Banester ihm hatte angedeihen lassen, kein Sterbenswort verlieren.
    Vitus legte das Buch zur Seite, erklomm die Decks nach oben und klopfte wenig später an Taggarts Kajütentür. Unter dem Eindruck des von Tipperton Gesagten wollte er sich nochmals ein Bild vom Gesundheitszustand des Kapitäns machen.
    »Herein.«
    Vitus betrat die Kajüte und sah, dass Taggart nicht allein war. Ihm gegenüber am Kartentisch saß ein außergewöhnlicher Besucher – der Zwerg.
    »Wiewo, da spähste moll, was!«, krähte der Winzling.
    Taggart grinste sein diabolisches Grinsen.
    Vitus fasste sich. »Dich hier anzutreffen, hatte ich nicht erwartet, Zwerg«, sagte er. Dann fiel ihm ein, dass Taggart auch früher schon ein ganz besonderes, vertrautes Verhältnis zu dem Winzling gehabt hatte, nicht zuletzt wegen seines verkrüppelten Sohns.
    »Enano und ich haben über vergangene Zeiten geplaudert und einen Erinnerungstrunk zu uns genommen«, sagte Taggart, vor dem ein Glas Rheinwein stand.
    »Gewisslich ha’m wir das, un über den Rußling ha’m wir auch getruscht.«
    »Über was?« Selbst Vitus verstand nicht immer, was der Zwerg meinte.
    »Über die Küche, Örl. Die Feuerstelle! Jack un seine Gacken ha’m schon manches Fass fillfoll gebracht, aber’s fehlen noch Bauerndegen un Böllerlein un Schießbaumwolle.«
    Taggart mischte sich ein. »Enano will es sich nicht nehmen lassen, für die Mannschaft zu kochen; mit einer Hilfe, sagt er, wäre das kein Problem. Ich habe es ihm versprochen. Und ich habe ihm auch versprochen, dass noch Bohnen, Kichererbsen und Sauerkraut besorgt werden. Blieb mir auch gar nichts anderes übrig, was Enano?«
    »Wui, wui, Kaptein!«
    Taggart trank einen Schluck Rheinwein, schrie »Tipperton!« und setzte das Glas ab. Vitus dachte, dass Wein ganz sicher nicht gut für die Kniegelenke des Kapitäns waren, sagte aber nichts. Taggart trank einen weiteren Schluck und prostete dem Zwerg zu, dessen Äuglein glühten.
    »Tipperton!«
    Endlich erschien der Schreiber. »Ihr habt mich gerufen, Sir?«
    »Das habe ich in der Tat. Kennt Ihr Euren Namen nicht mehr, oder warum reagiert Ihr nicht?«
    Tipperton zog ein hochmütiges Gesicht. Kein Muskel darin verriet, wie viel Privates er Vitus vor kurzem anvertraut hatte. »Ich war gerade damit beschäftigt, die neue Mannschaftsliste zu

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