Die Liebe des Wanderchirurgen
den Belgiern bewohnt wird. Worauf wollt Ihr eigentlich hinaus, Tipperton?«
»Ich habe lange geschwankt, Sir, und mich dann doch dafür entschieden, es zu wagen.«
»Aha, was denn?«
»Nun, äh, ich wollte Euch auf etwas aufmerksam machen, Sir, auf etwas sehr Wichtiges, aber wenn Ihr gestattet, führe ich meinen Gedanken noch schnell zu Ende.«
Vitus begann zu begreifen, warum Taggart so häufig der Kragen platzte, wenn er es mit seinem Schreiber zu tun hatte.
»Der Captain war, ich darf das ohne Übertreibung sagen, in Latein ein mäßiger Schüler, es haperte bei ihm hauptsächlich an den Vokabeln, die zu lernen er keine Lust hatte oder keine Zeit fand. Ich dagegen war, in aller Bescheidenheit angemerkt, ein sehr guter Schüler. Ich kannte meinen Caesar, meinen Ovid und auch meinen Vergil so gut, dass ich über mehrere Jahre Klassenprimus war. In dieser Zeit habe ich dem Captain unzählige Male während des Unterrichts geholfen, indem ich ihn abschreiben ließ oder ihm vorsagte. Er dagegen half mir bei Astronomie und Geometrie aus, denn der Inhalt dieser Fächer flog ihm wie von selbst zu. Außerdem verteidigte er mich stets, wenn andere Jungen mich verprügeln wollten. Vielleicht könnt Ihr Euch das schwerlich vorstellen, Sir, weil der Captain zu mir häufig, äh, recht grob ist, aber glaubt mir, im Zweifelsfall lässt er nichts auf mich kommen. Das war immer so, und das ist auch heute noch so.«
Vitus fasste sich weiter in Geduld.
»Es gab Zeiten, da sahen wir uns wochenlang nicht, weil der Captain insgesamt dreimal – nein, wartet, ich glaube, es war sogar viermal – von zu Hause ausriss. Immer zog es ihn zu den Schiffen im Hafen von Cows, sie übten eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. Beim ersten Mal arbeitete er zwei Wochen auf einer Werft und fuhr anschließend mit einem Kohletransporter in die Irische See. Da war er neun Jahre alt, sah aber schon wie elf aus. Beim zweiten Mal war er elf, sah aber schon wie vierzehn aus, da hatte er auf einem Westindienfahrer angeheuert, doch sein Vater, ein trinkfreudiger Steinmetz und Grabsetzer, kam dahinter und holte ihn in letzter Minute vom Schiff herunter. Ihr könnt Euch vorstellen, Sir, was es danach für eine Tracht Prügel setzte. Beim dritten Mal …«
»Irgendwann ist der Captain dann mit Euch zusammen zur See gefahren.«
»Äh, sicher, Sir.« Tipperton wirkte leicht pikiert. »Aber bis dahin sollten noch Jahre vergehen. Wenn Ihr gestattet …«
»Überspringt die Jahre einfach.«
»Nun gut, ich bin nicht sicher, ob ich es tun sollte, aber wenn Ihr meint. Ich schenke mir dann die Schilderung, wie der Captain sich im Laufe der Jahre hochdiente, will auch darauf verzichten, Euch von Maggy, seinem Weib, zu berichten, das er bei einem Hahnenkampf in Cows kennenlernte. Wenn ich es recht erinnere, war es so, dass der Captain den Siegerhahn kaufte, damit zu Maggy ging und zu ihr sagte: ›Das ist der Hahn, der die Henne bekommen wird, die den Stall bekommen wird, der das Haus bekommen wird, das das Gut bekommen wird, das du bekommen wirst, wenn du mich heiratest.‹ Zugegeben ein recht ungewöhnlicher Antrag, aber Maggy nahm ihn an, und wie Ihr wisst, Sir, leben beide noch heute auf ihrem Gut – zusammen mit mir, wie ich hinzufügen möchte. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja: Ich versage mir auch, Euch von den Abenteuern des Captains Anfang der siebziger Jahre in der Karibik zu erzählen, und gehe auch nicht ein auf seine Erhebung in den Ritterstand, die unsere Jungfräuliche Königin höchstselbst vornahm, ebenso wie ich unerwähnt lassen will, in welchen Jahren die fünf Kinder des Captains geboren wurden.«
»Dafür bin ich Euch dankbar.«
»Äh, wie meinen? Ich denke, ich sollte ferner darauf verzichten, Euch die Namen der Kinder zu nennen und ihre besonderen Begabungen, obwohl so viel Zeit eigentlich sein müsste. Ich will mich beschränken auf den Hinweis, dass sämtliche Kinder mittlerweile aus dem Haus sind; aus den Jungen wurden Seefahrer wie ihr Vater, wenn man von dem einen verkrüppelten Knaben absieht, der mit einem Buckel geboren wurde. Die Mädchen wurden standesgemäß verheiratet, es handelt sich um Josy, eigentlich Josephine, und Dotty, eigentlich Dorothee. Josy heiratete den Reedersohn John McAllan aus Farmouth, das war, wenn ich nicht irre, im Jahre 69 , Dotty heiratete den Sohn des Apothekers von Cows, Sylvester Hancock, das war zwei Jahre später, übrigens an einem ähnlich schönen Maientag wie heute. Dotty hat den
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