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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Captains.« Vitus überlegte einen Augenblick, dann fügte er hinzu: »Und bestellt dem Zwerg einen Gruß, er möge ebenfalls in die Kajüte kommen.«
    »Aye, aye, Sir.« McQuarrie verschwand. Vitus machte sich auf den Weg zu Taggart und bedachte dessen Situation. Er erinnerte sich, dass das Bein durchschossen worden war, wahrscheinlich auf Kniehöhe. Wenn dem so war, hatte der Captain wenig Chancen auf Wiederherstellung.
    Er klopfte.
    »Herein.« Taggarts Stimme klang gepresst.
    Vitus trat ein und sah, dass Taggarts Stimme seiner allgemeinen Verfassung entsprach. Der Schmerz hatte sich tief in sein Gesicht gegraben. Er saß in seinem Lieblingsstuhl, das verletzte linke Bein auf den Kartentisch gelegt, und hielt eine Karaffe mit Wein in der Hand.
    Vitus wusste nicht, wie er beginnen sollte. Einerseits schien Taggart sehr geschwächt zu sein, andererseits wirkte er bärbeißig wie immer. »Herzlichen Glückwunsch zum Sieg, Sir.«
    Taggart schnaufte und trank einen Schluck. Es lag etwas Meschanisches in seinen Bewegungen. »Habe ihn nicht mitbekommen, genauso wenig wie Ihr, wie ich höre. Hätte zu gern die verdammten Dons verduften sehen.«
    »Wie geht es Eurem Bein, Sir?«
    Taggart schnaufte erneut. »Tantalusqualen! Nur im Suff zu ertragen.«
    »Darf ich mal? Bitte lasst das Bein, wo es ist.« Vitus ergriff ein Federmesser vom Tisch und schlitzte behutsam das Hosenbein bis zur Leiste auf. Dann schlug er es zurück und tat einen ersten Blick auf die Wunde.
    Das Knie war ein einziger Brei.
    Man brauchte kein großartiger Arzt zu sein, um festzustellen, dass hier nichts zu retten war. Der
Articulatio genus,
wie das Verbindungsgelenk zwischen Ober- und Unterschenkel genannt wurde, war völlig zerstört. Die Kniescheibe war zerschlagen, Bänder und Sehnen waren durchtrennt, Teile des Oberschenkelknochens abgesplittert. Von der Musketenkugel, die das alles angerichtet hatte, war nichts zu sehen. Doch die Wucht ihres Aufpralls hatte dafür gesorgt, dass die Wunde voller Stoffreste war.
    Vitus überlegte, wie er es Taggart schonend beibringen konnte, dass eine Amputation unumgänglich war, entschloss sich aber zunächst für das Naheliegendste. »Sir, ich werde Euch etwas
Laudanum
geben, das bläst den Schmerz schnell fort.«
    »Das wäre gut. Wo habt Ihr es denn?«
    »Es wird gleich kommen, ich habe McQuarrie damit beauftragt, meine chirurgische Ausrüstung zu holen.«
    »Aha, es kann also noch dauern, na dann,
cheers.
« Taggart trank einen großen Schluck direkt aus der Karaffe.
    »Sir, bitte, Ihr solltet keinen Alkohol trinken. Alkohol hilft nicht, er schwächt nur.«
    »Ach was!« Ein Funke von Taggarts alter Widerborstigkeit glomm auf. »Wenn dieses
Laudazeugs
nicht da ist, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich von Bacchus trösten zu lassen, oder wollt Ihr, dass ich weiter in mein Gesangbuch beiße?
In dulci jubilo,
damit der Schmerz nachlässt?«
    »Kronig jam un glatten Schein, Kaptein!« In der geöffneten Tür stand der Zwerg. »Ich hör, ’s fetzt im Bein?«
    »Ja, Zwerg, so ist es.« Taggart unterdrückte ein Stöhnen. Da der Winzling ihn an seinen Sohn erinnerte, fühlte er sich ein wenig in der Vaterrolle – und musste in dieser stark sein.
    »’s wird schon wieder, der Örl is’n guter Pulsquetscher, der kriegt den Stelzer schon ab.«
    Bevor Taggart etwas antworten konnte, kam McQuarrie und trug persönlich Vitus’ Utensilien in die Kajüte. Den glühenden Kauter hatte er extra in einem metallenen Behältnis verwahrt. Vitus bedankte sich und füllte als Erstes eine geringe Menge
Laudanum
in ein Trinkgefäß um. »Nehmt das, Sir, es wird Euch guttun.«
    »Danke, Cirurgicus.« Widerstrebend trennte sich Taggart von der Karaffe und trank die Arznei. »Brrr, das schmeckt wie Tintenfischtinte!«
    »Aber es hilft weitaus besser. Wir sollten uns jetzt ein wenig in Geduld fassen, Sir, dann werden Eure Schmerzen vergehen, und eine angenehme Entspanntheit wird von Euch Besitz ergreifen.«
    Vitus behielt recht, denn kurz darauf glätteten sich Taggarts Züge, eine gewisse Teilnahmslosigkeit ergriff ihn, und er fragte: »Was habt Ihr vor, Cirurgicus? Ihr wollt doch nicht etwa mein Bein abnehmen?«
    »Genau das will ich, Sir.«
    »Nein, zur Hölle!«
    »Es muss sein. Wenn es nicht heute geschieht, werdet Ihr spätestens übermorgen den Wundbrand haben, und dann müsste ich sowieso amputieren.«
    Bevor Taggart erneut protestieren konnte, erschien Tipperton auf der Bildfläche. »Sir, ich habe mir gedacht, auch

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