Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
dem Patienten das Gesangbuch zwischen die Zähne geschoben haben, vielleicht, weil er immer noch starke Schmerzen hatte, vielleicht auch, weil er immer noch fluchte. Vitus war es egal, er setzte die kleine Säge an. Sie war scharf, aber unzureichend. Wenn er mit der großen zwei Züge machte, brauchte er mit dieser vier oder sechs. Er kam nicht richtig voran, und die Zeit lief ihm buchstäblich unter den Fingern davon!
    Als der Knochen endlich durchtrennt war und das untere Bein zu Boden fiel, bäumte Taggart sich auf. »Ruhig, Sir, es ist gleich geschafft!« Vitus griff zum Kauter und stellte fest, dass er nicht mehr glühte. Seine Temperatur würde nicht mehr ausreichen, um die Wunde zu verschließen. Was tun?
    Ambroise Paré, ein französischer Spezialist für Amputationen, fiel ihm ein. Dieser hatte sich entschieden gegen die Anwendung des Gluteisens oder das Ausgießen mit siedendem Öl gewandt und stattdessen das Setzen einer Arterienligatur empfohlen. Wie immer in der Medizin, wenn etwas Neues die gängige Lehre in Frage stellte, war diese Meinung zunächst heftig angegriffen worden, doch nach und nach hatten selbst die größten Gegner Parés eingesehen, dass die Methode erfolgversprechend war. Vitus entschloss sich, Parés Empfehlung zu folgen.
    Taggart bäumte sich abermals auf, das Gesangbuch fiel ihm aus dem Mund und traf Vitus’ Hände, die gerade den Faden auf die Nadel ziehen wollten. Tipperton und McQuarrie zwangen ihren Kommandanten wieder in die alte Position zurück, und Vitus begann, die Oberschenkelschlagader zu vernähen. Es war eine Arbeit, die er noch nie gemacht hatte und die demzufolge länger als beabsichtigt dauerte. Aber als er sie beendet hatte, erkannte er die Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit von Parés Methode. Der letzte Schritt, das Vernähen der überstehenden Hautlappen, würde dagegen ein Kinderspiel sein.
    Der Zwerg hatte unterdessen seinen Gesang eingestellt und räumte die benutzten Instrumente fort. Tipperton näselte ein ums andere Mal: »Unfasslich, unfasslich, ein
phaenomenon!
Mir war so, als wäre die Blutung vorübergehend tatsächlich zum Stehen gekommen. Und das nicht nur wegen des Lederriemens! Natürlich kann es auch Einbildung sein, aber ich glaube nicht, dass ich mich täusche. Bei derlei Dingen pflege ich mich nicht zu täuschen. Ich kann mich an einen Fall erinnern, ich glaube, es war anno dreiunddreißig, als ein Dorfkind in Osborne über Nacht eine große Warze bekam. Nach vielerlei Bemühungen wurde endlich eine alte Kräuterfrau gefunden, welche versicherte, nur durch die Kraft ihrer Worte das unansehnliche Gewächs beseitigen zu können …«
    Vitus unterbrach den Redefluss, während er konzentriert weiterarbeitete: »Erinnert Euch an Dunc und an die Operation mit der Golddublone, Tipperton. Auch damals schon hatten die Kräfte des Zwergs blutstillende Wirkung. Fragt mich nicht, wie oder womit er das macht, ich könnte Euch keine Antwort geben. Vielleicht könnte der Zwerg es sogar selbst nicht. Da sind eben mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als wir ahnen.«
    »Gewiss, gewiss, Cirurgicus. Um auf die alte Kräuterfrau zurückzukommen …«
    »Wui, wui, Griffelwackler!«, rief der Winzling. »Schränk die Labbe!«
    Vitus tat den letzten Stich, verknotete den Faden und nahm den Lederriemen ab. Dann bestrich er die Wundränder mit einer entzündungshemmenden Heilsalbe und legte den Verband an. »Der Captain braucht jetzt Ruhe. Er sollte ein paar Stunden schlafen. Seid so freundlich, Gentlemen, und tragt ihn hinüber zu seiner Koje.«
    »Aye, aye, Sir«, sagte McQuarrie.
    »Gewiss, Sir«, sagte Tipperton, der ein wenig beleidigt schien, da er die Geschichte von der Warze und der alten Kräuterfrau nicht zu Ende erzählen durfte.
    Vitus spürte, wie die Anspannung von ihm abfiel. Er fühlte sich wie zerschlagen, und das nicht nur, weil der Kopfschmerz ihn noch immer quälte. Am liebsten hätte er sich ebenfalls hingelegt, aber das kam natürlich nicht in Frage. »Ich gehe hinunter in meinen Behandlungsraum«, sagte er. »McQuarrie, seid so freundlich und schickt mir die Verletzten dorthin.«
    »Aye, aye, Sir.«
    »Und gebt Jim, dem anderen Zimmermann, Bescheid. Er soll zwei Krücken für den Captain anfertigen.«
    »Aye, aye, Sir.«
    Vitus verließ die Kajüte.

[home]
    Der
Jack Pudding
Enano
    »Sollst aber nich zu viel schmettern, Kaptein, sonst verhagelt’s dir den Speisfang. Hab dir’n Pudding geprasselt, ’n Plumpudding, mach die Späher auf.«
    Z wei

Weitere Kostenlose Bücher