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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Tage waren vergangen, die
Falcon,
deren Fockmast mit einem Notrigg repariert worden war, näherte sich der Höhe von Brest. Die wilde Biskaya hatte sich von ihrer zahmen Seite gezeigt, und alles sprach dafür, dass es so bleiben würde. Taggart war seit einem Tag wieder auf dem Posten, abwechselnd das
Laudanum
und das Nass der Rebe zu sich nehmend, wobei Ersteres von Vitus genauestens zugemessen, Letzteres ebenso großzügig wie wahllos eingenommen wurde, selbstverständlich ohne Wissen des Cirurgicus.
    McQuarrie, der die ganze Zeit das Kommando innegehabt hatte, war auch an diesem Morgen in die Kajüte gegangen, hatte seinen Kapitän begrüßt und anschließend sorgfältig im Bordbuch die Geschehnisse festgehalten. Unter anderem hatte er notiert, dass die Verletzten vom Cirurgicus versorgt worden waren, und dass sie sich auf dem Weg der Besserung befanden. Er hatte aufgeschrieben, dass er am Tag nach der Schlacht gegen die
San
Juan
noch im Seegebiet von La Coruña gekreuzt hatte, um sicherzustellen, dass die Armada tatsächlich dem Sturm ausgewichen war und den schützenden Hafen angelaufen hatte. Er hatte, mit Taggarts widerwilligem Einverständnis, vom Befinden seines Kommandanten berichtet und niedergeschrieben, dass laut Auskunft des Cirurgicus die Wunde zufriedenstellend aussah und keine Anzeichen von Eiterung zu bemerken waren. Er hatte getreulich die Positionen und die Wetterentwicklungen vermerkt, die Farbe des Meers, die Stärke des Winds, die Geschwindigkeit des Schiffs und manches mehr.
    Das Einzige, was er nicht in Worte gefasst hatte, war die Übergabe der gefallenen
Falcons
ins Meer. Denn diese war auf Taggarts ausdrücklichen Wunsch verschoben worden, bis er selbst in der Lage sein würde, den Trauerakt zu leiten.
    Heute, am 6 . Juni, sollte das der Fall sein.
    Taggart war noch schwach, was nicht nur auf die schwere Verletzung, sondern auch auf seinen übermäßigen Weingenuss zurückzuführen war. Andererseits gebot er über eine zähe Natur, und der Zwerg, der seit der Operation öfter an seiner Seite weilte, sprach ihm auf seine Art Trost zu: »Ei, Kaptein«, sagte Enano, »den Stelzer, den Steiger, den Geher, den brauchste nich, denn wer keine Stelzer hat, der schwoft auf’m Schulterblatt!«
    Taggart war amüsiert. Nicht nur der Buckel des Winzlings erinnerte ihn an seinen Sohn Connor, auch dessen schnoddrige Art. »Ich hasse das Tanzen, Zwerg«, knurrte er, wobei er es tatsächlich fertigbrachte, sein Knurren freundlich klingen zu lassen. »Das Gehopse wurde lediglich erfunden, damit wir Männer wildfremde Frauen begrapschen dürfen, ohne gleich von irgendwelchen beleidigten Gatten zum Duell herausgefordert zu werden. Da lob ich mir doch ein Gläschen Wein, das bringt den Puls genauso auf Trab und schmeckt dabei noch viel besser. Auch lausche ich dem sanften Murmeln der Traube viel lieber als hohlem Weibergewäsch.«
    »Wui, wui, so solles sein!«
    »Du verstehst mich.« Taggart trank einen Schluck.
    »Sollst aber nich zu viel schmettern, Kaptein, sonst verhagelt’s dir den Speisfang. Hab dir’n Pudding geprasselt, ’n Plumpudding, mach die Späher auf.«
    Taggart schaute hin und erblickte ein kugelförmiges Gebilde, das von einem Tuch umschlossen und oben zugebunden war. »Bei allen Wanderlurchen, das sieht wirklich aus wie ein echter Plumpudding! Aber es ist doch noch gar nicht Weihnachten?«
    »Aber bald, Kaptein, aber bald, tönst doch selbst alleweil: ›Bald is Weihnachten‹. Sachst es immer, wenn’s dir nich hui genuch geht, nich? Der Plumpudding is schmerfig, sin Trockenfrüchte drin un Nüsse un fettes Fett von Nierchen un mancherlei mehr, ’s is’n fillvoller Serviettenkloß, wie’s im Askunesischen heißt, un wird dir aufde Beine helfen, äh, aufs Bein.«
    »Das ist aber sehr nett von dir.« Taggart war ein wenig verlegen.
    »Brauchst nich bumserig wer’n, Kaptein. ’s kommt von Harm, von Herzen, wennste das besser begneißt. Kriegst’n Plumpudding von
Jack Pudding!
«
    »
Jack Pudding?
Nennen die Männer dich so? Das gefällt mir nicht.«
    »Wiewo?« Das Fischmündchen stülpte sich vor und produzierte ein Grinsen. »’s is nich weiter meschunne. Ich lenz mich sogar drüber.«
    In der Tat empfand der Zwerg den Spitznamen
Jack Pudding,
den ihm die
Falcons
gegeben hatten, eher als Auszeichnung denn als Schimpfwort. Wie alle, die am Rande der Gesellschaft standen, wusste er, dass
Jack Pudding
in Wirklichkeit eine Puppe war, die als das Sprachrohr der breiten Masse galt. In

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