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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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los. Der Zwerg wartet sicher schon auf mich.«
    »Bitte … nimm mich mit.«
    »Es geht nicht.«
    »Ich habe doch nur dich.« Sie nahm seine Hand und führte sie an ihr lädiertes Gesicht, wie sie es schon einmal in Doktor Halls Kammer getan hatte.
    Er blickte zur Decke der Kammer und dachte: Allmächtiger Gott, warum hast du es zugelassen, dass sich meine Wege mit denen dieser Frau kreuzten? Willst du mich in Versuchung führen? Mein Geist ist stark, aber mein Fleisch ist schwach. Was soll ich nur tun?
    Isabella schniefte und schaute ihn mit tränennassen Augen an. »Was gewesen ist, ist gewesen, Vitus. Lass uns einfach gute Freunde sein. Ich brauche dich. Ich habe niemanden sonst, wirklich nicht. Nimm mich mit, und ich will dir die angenehmste und aufmerksamste Reisebegleiterin sein, die du dir denken kannst.« Sie drückte seine Hand. »Sag ja … bitte.«
    Er räusperte sich und wollte endgültig nein sagen.
    Aber er brachte es nicht fertig.
     
     
     
    Am Vormittag des nächsten Tages erreichte eine Mietkutsche mit drei Insassen das parkähnliche Gelände von Greenvale Castle. Die Insassen waren Vitus, der Zwerg und Isabella.
    Dass die stolze Spanierin mitgereist war, lag letztlich an Vitus’ Verantwortungsgefühl. Das hatte den Ausschlag für seinen Entschluss gegeben, obwohl der Winzling Enano strikt dagegen gewesen war. »’s is ’ne falsche Trusche«, hatte er gefistelt. »Sie parlt kiesig, hat mich angeäpfelt un bezankt un mich Pudding genannt. Sie is nix. Lass sie hier.«
    »Nein«, hatte er geantwortet, »ich kann sie nicht in London ihrem Schicksal überlassen. Das gebietet allein schon die Menschlichkeit.«
    Vitus’ Entscheidung schien ihm recht zu geben, denn Isabella hatte sich während der ganzen Fahrt von ihrer freundlichsten Seite gezeigt, sich an der lieblichen englischen Landschaft erfreut, die Schönheit des Tages gelobt und sogar den Bauern auf den Feldern hin und wieder ein fröhliches Wort zugerufen.
    Nur den Zwerg hatte sie nicht beachtet.
    Dafür hatte sie Vitus umso mehr in ein Gespräch über sein Leben und seine Familie verwickelt. Sie hatte sich neugierig und interessiert gegeben, auch wenn sie noch immer nicht glauben konnte, dass jemand, der mit Kiepe, Stock und gelben Pantoffeln unterwegs war, ein Schlossherr sein sollte.
    Doch nun wurde sie eines Besseren belehrt. Die Kutsche hielt vor der großen Freitreppe von Greenvale Castle
,
und ein Diener erschien gemessenen Schrittes. Er hatte die Mitte des Lebens schon hinter sich und machte mit seinem hochmütigen Gesicht den Eindruck, als könne ihn nichts auf dieser Welt mehr erschüttern. Er öffnete die Tür der Kutsche – und riss die Augen auf. Zweifellos hatte er vornehme Herrschaften erwartet, aber das, was er sah, war alles andere. Eine stark geschminkte Frau in billigen Männerkleidern entstieg dem Wagen und hielt ihm die Hand hin, damit er ihr helfe. Verwirrt tat er es. »Guten Tag, äh, Madam«, sagte er.
    »Danke. Wie ist dein Name?«
    »Äh, Hartford.«
    »Danke, Hartford.«
    »Guten Tag, Hartford.« Vitus entstieg ebenfalls der Kutsche, und der Diener machte eine tiefe Verbeugung. »Herzlich willkommen in Greenvale Castle
,
Mylord. Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise und Euer, äh, Unterfangen war von Erfolg gekrönt?«
    »Danke, Hartford.« Vitus fand, dass der Diener manchmal wirklich zu neugierig war.
    »Glatten Schein, Schomser!«
Jack Pudding,
der Zwerg, hüpfte selbsttätig aus der Kutsche. Er mochte Hartford nicht sonderlich und nannte ihn stets nur »Diener«, was in der rotwelschen Sprache »Schomser« heißt.
    Isabella sah sich um und stellte fest, dass Greenvale Castle aus einem U-förmigen Komplex mit höchstens hundert Räumen bestand. Es war zwar klein, winzig klein sogar, wenn man es mit dem Klosterschloss
Escorial
bei Madrid verglich, aber äußerst gepflegt. Und zweifellos ein richtiges Schloss, zu dem offenkundig ein Gutshaus, Stallungen und ausgedehnte Ländereien gehörten. Das Eigentum eines Grafen in gelben Pantoffeln!
    »Mylord!« Ein großer, ernster Mann kam herbeigeeilt. »Wie schön, dass Ihr wohlbehalten wieder daheim seid! Ich darf Euch versichern, dass alles zum Besten steht.«
    »Danke, Catfield.« Vitus schüttelte dem Verwalter die Hand und sah im Hintergrund weitere Bedienstete heraneilen. Es waren Keith, der Stallmeister mit den abstehenden Ohren, Watty, der Stallknecht, und einige andere. Auch sie wurden freundlich von Vitus begrüßt, ebenso wie das Schlosspersonal, das

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