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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Arzt saß in der Küche, trank eine Tasse Tee und redete mit Enid über einen anderen Fall, den sie nun übernehmen konnte, da dieser beendet war. Enid wollte sich nicht festlegen und sagte, sie habe daran gedacht, eine Weile Urlaub zu machen. Die Kinder waren oben. Ihnen war gesagt worden, ihre Mutter sei nun im Himmel, was für sie diesem außergewöhnlichen und ereignisreichen Tag die Krone aufsetzte.
    Mrs. Green war schweigsam, bis der Arzt aufbrach. Sie trat ans Fenster, um zu sehen, wie er in sein Auto stieg, wendete und wegfuhr. Dann sagte sie: »Vielleicht sollte ich nicht sofort davon anfangen, aber ich tu’s einfach. Ich bin froh, dass es jetzt passiert ist und nicht erst, wenn der Sommer vorbei ist und die Schule wieder angefangen hat. Jetzt bleibt mir Zeit, die Kinder daran zu gewöhnen, dass sie bei uns wohnen und in eine andere Schule kommen. Rupert wird sich auch dran gewöhnen müssen.«
    Zum ersten Mal wurde Enid klar, dass Mrs. Green beabsichtigte, die Kinder ganz zu sich zu nehmen, nicht nur für eine Weile. Mrs. Green hatte es eilig mit dem Umzug, hatte ihn vermutlich seit geraumer Zeit geplant. Die Zimmer für die Mädchen waren längst hergerichtet, bestimmt war auch Stoff gekauft worden, um ihnen neue Kleider zu nähen. Mrs. Green hatte ein großes Haus und keine eigenen Kinder.
    »Sie wollen ja sicher auch heim«, sagte sie zu Enid. Solange eine andere Frau im Haus war, konnte es als gleichwertige Heimstatt erscheinen und ihrem Bruder die Einsicht erschweren, dass der endgültige Auszug der Kinder notwendig war. »Rupert kann Sie reinfahren, sobald er zurück ist.«
    Enid sagte, das sei nicht nötig, ihre Mutter käme, um sie abzuholen.
    »Ach, Ihre Mutter hatt’ ich ganz vergessen«, sagte Mrs. Green. »Die mit dem flotten kleinen Auto.«
    Ihre Miene hellte sich auf, und sie begann, Schranktüren aufzumachen, Gläser und Teetassen zu inspizieren – waren sie sauber für die Beerdigung?
    »Da ist jemand am Werk gewesen«, sagte sie, erleichtert, Enid los zu sein, und zu Lobsprüchen bereit.
    Mr. Green wartete draußen, im Laster, mit dem Hund der Greens, General. Mrs. Green rief hoch nach Lois und Sylvie, und sie kamen mit ein paar Sachen in braunen Papiertüten die Treppe heruntergepoltert. Sie rannten durch die Küche und knallten die Tür zu, ohne sich um Enid zu kümmern.
    »Das wird sich ändern müssen«, sagte Mrs. Green und meinte das Türenknallen. Enid hörte, wie die Kinder General lauthals begrüßten und wie General aufgeregt zurückbellte.
     
    Zwei Tage später war Enid wieder da, mit dem Auto ihrer Mutter, allein. Sie kam am späten Nachmittag, als die Leichenfeier lange vorbei sein musste. Im Hof parkten keine fremden Autos, was hieß, dass die Frauen, die in der Küche ausgeholfen hatten, alle nach Hause gefahren waren und die zusätzlichen Stühle und Teetassen mitgenommen hatten, auch die große Kaffeekanne, die der Kirche gehörte. Im Gras waren Reifenspuren und umgeknickte, zerdrückte Blumen.
    Sie musste jetzt anklopfen. Sie musste darauf warten, hereingebeten zu werden.
    Sie hörte Ruperts schwere, gleichmäßige Schritte. Sie begrüßte ihn, als er auf der anderen Seite der Fliegentür vor ihr stand, aber sie sah ihm nicht ins Gesicht. Er war in Hemdsärmeln, trug aber die Hose seines guten Anzugs. Er hakte die Tür auf.
    »Ich war nicht sicher, ob jemand zu Hause ist«, sagte Enid. »Ich dachte, vielleicht sind Sie noch im Stall.«
    Rupert sagte: »Es haben alle bei der Arbeit geholfen.«
    Sie konnte Whisky riechen, als er sprach, aber er klang nicht betrunken.
    »Ich dachte, Sie wären eine von den Frauen und hätten was vergessen«, sagte er.
    Enid sagte: »Ich habe nichts vergessen. Aber wie geht es den Kindern?«
    »Denen geht’s gut. Sie sind bei Olive.«
    Es schien ungewiss, ob er sie hereinbitten würde. Was ihn zögern ließ, war Verwirrung, nicht Feindseligkeit. Enid hatte sich nicht auf diesen ersten, schwierigen Teil des Gesprächs vorbereitet. Damit sie ihn nicht ansehen musste, blickte sie sich zum Himmel um.
    »Man merkt schon, dass die Tage kürzer werden«, sagte sie. »Auch wenn der längste Tag noch keinen Monat her ist.«
    »Das stimmt«, sagte Rupert. Jetzt stieß er die Tür auf und trat beiseite, und sie ging hinein. Auf dem Tisch stand eine Tasse ohne Untertasse. Sie setzte sich seinem Platz gegenüber. Sie trug ein dunkelgrünes Seidenkreppkleid und dazu passende Wildlederschuhe. Als sie diese Sachen anlegte, hatte sie gedacht,

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