Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Gnadenlosigkeit, dank derer die Erde weiter um die Sonne kreisen kann, weil er damals noch nicht wußte, daß seine Frau stets eine Barrikade des Zorns vor sich aufbaute, wenn man ihr die Angst nicht anmerken sollte, und in diesem Fall die furchtbarste aller Ängste: ihn zu verlieren. In jener Nacht aber hatte sie ihm von ganzem Herzen den Tod gewünscht, und dieses Wissen machte ihn unruhig. Dann hörte er sie in der Dunkelheit schluchzen, sie biß ins Kissen, damit er es nicht merkte. Das brachte ihn vollends durcheinander, wußte er doch, daß sie nicht ohne weiteres wegen irgendeines Schmerzes des Körpers oder der Seele weinte. Sie weinte nur in großem Zorn, vor allem, wenn dieser ihrer panischen Angst vor irgendwelcher Schuld entsprang, und wurde dann um so zorniger, je mehr sie weinte, weil sie sich die Schwäche zu weinen nicht verzeihen konnte. Juvenal Urbino traute sich nicht, sie zu trösten, denn das wäre dem Versuch gleichgekommen, eine von einem Speer durchbohrte Tigerin zu trösten, auch hatte er nicht den Mut, ihr zu sagen, daß an diesem Nachmittag die Gründe für ihr Weinen verschwunden, mit Stumpf und Stiel und für immer aus seinem Gedächtnis gerissen worden waren. Die Müdigkeit siegte ein paar Minuten lang über ihn. Als er wieder aufwachte, hatte sie ihre schwache Nachttischlampe angezündet. Sie lag immer noch mit offenen Augen da, weinte aber nicht mehr. Etwas Endgültiges war mit ihr geschehen, während er schlief. Die am Grunde ihres Alters in so vielen Jahren abgelagerten Sedimente waren durch die Qualen der Eifersucht aufgewirbelt worden, an die Oberfläche gekommen und hatten sie in einem einzigen Augenblick alt werden lassen. Erschüttert von ihren plötzlichen Falten, ihren welken Lippen, der Asche ihres Haars, wagte er, ihr zu sagen, sie möge doch versuchen zu schlafen, zwei Uhr morgens sei vorbei. Sie sprach mit ihm, ohne ihn anzusehen, doch schon ohne jede Spur von Wut in der Stimme, fast demütig:
»Ich habe ein Recht zu wissen, wer sie ist«, sagte sie. Und da erzählte er ihr alles, und es war ihm, als ob er sich vom Gewicht der Welt befreie, denn er war davon überzeugt, daß sie es wußte und sich nur noch die Einzelheiten bestätigen lassen wollte. Aber das war natürlich nicht so, deshalb fing sie, während er noch sprach, wieder an zu weinen, und nun nicht mehr mit schüchternen Schluchzern wie am Anfang, sondern mit lockeren Salztränen, die ihr über das Gesicht flossen, im Nachthemd brannten und sie krank machten, denn er hatte nicht das getan, was sie voller Angst gehofft hatte, daß er nämlich alles bis zum Tod abgestritten, sich über die Verleumdung empört, geschrien und geflucht und auf diese Gesellschaft von schlechten Eltern geschissen hätte, die ohne die geringste Scheu die Ehre eines anderen mit Füßen trat, und daß er sich auch angesichts der erdrückenden Beweise seiner Untreue noch unbeirrt gezeigt hätte: wie ein Mann. Als er ihr dann erzählte, daß er am Nachmittag bei seinem Beichtvater gewesen sei, glaubte sie vor Zorn zu erblinden. Seit der Schulzeit war sie davon überzeugt, daß den Kirchenleuten jede von Gott kommende Tugend abging. Dies war eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit innerhalb der Harmonie des Hauses, die sie jedoch ohne Zusammenstöße zu umsteuern vermocht hatten. Daß ihr Mann aber dem Beichtvater erlaubt hatte, sich so weit einzumischen, und zwar nicht nur in seine Intimität, sondern auch in die ihre, war unverzeihlich.
»Dann hättest du es auch gleich einem Schlangenbändiger an den Portalen erzählen können«, sagte sie. Das war für sie das Ende. Sie war sicher, daß ihre Ehe schon Stadtgespräch geworden war, bevor noch ihr Mann seine Bußgebete beendet hatte, und die damit verbundene Demütigung war noch weniger zu ertragen als die Schande und die Wut und das Unrecht des Ehebruchs. Und zu allem Übel, verdammt noch mal, mit einer Schwarzen. Er korrigierte: »Mulattin.« Aber da war schon jede Präzisierung überflüssig: Sie war mit ihm fertig.
»Das ist Jacke wie Hose«, sagte sie, »aber jetzt verstehe ich: Es roch nach Negerin.«
Dies geschah an einem Montag. Am Freitag um sieben Uhr abends schiffte sich Fermina Daza begleitet von ihrer Pflegetochter auf dem kleinen Liniendampfer nach San Juan de la Ciénaga ein, mit nur einem Koffer und verschleiertem Gesicht, um Fragen zu vermeiden und sie ihrem Mann zu ersparen. Doktor Juvenal Urbino war nicht am Hafen, das hatten sie nach einer drei Tage dauernden
Weitere Kostenlose Bücher