Die Liebe ist ein Daemon
Rücken.
Und die Dunkelheit.
Dunkelheit.
Und Stille.
Jetzt bin ich auch tot
, denke ich.
Aber die Finsternis verflüchtigt sich rasch, bricht auf und lässt eine Lichtspirale durch. Ich sehe ein über mich gebeugtes Gesicht, es ist das Gesicht meiner Schwester.
»Vicky?«
Ich antworte nicht.
»Vicky, hörst du mich?«
Ich nicke.
Ich liege jetzt auf dem Sofa. Ich richte mich auf, meine Mutter legt mir ein Kissen unter den Kopf. Elena reicht mir ein Glas gezuckertes Wasser. Ich trinke einen Schluck, verschlucke mich aber sofort und fange an zu husten. Der Zucker schmeckt so bitter wie Galle.
Keiner sagt etwas. Sie sehen mich nur voller Mitgefühl an. Vielleicht fühlen sie sich auch ein bisschen schuldig.
»Warum habt ihr mir nie etwas davon erzählt?«
»Wir durften dir nichts sagen. Die Gemeinschaft der Engel hat beschlossen, dass es besser wäre, darüber zu |133| schweigen. Zumindest solange von den Dämonen keine unmittelbare Gefahr ausging. Wir konnten mit dir nicht darüber sprechen, du hättest es auch nicht verstanden.«
»Na klar! Wie immer hätte ich es nicht verstanden! Und warum verstehe ich euch jetzt so gut? Wie konntet ihr mir so etwas verheimlichen …?«
»Übertreib mal nicht, es war, um dich zu beschützen.«
»Und wie hattet ihr euch das gedacht? Wie wollt ihr mich denn vor einer Gefahr beschützen, wenn ich nicht einmal weiß, dass es sie gibt?«, frage ich und spüre, wie die Sicherheit meiner Eltern ins Wanken gerät. Leider ist das in einem solchen Moment nur eine recht kleine Genugtuung.
»Wusste Lorenzo etwas?«, frage ich.
»Natürlich nicht!«
»Aber seine Eltern wussten offensichtlich Bescheid.«
»Ja, die Erwachsenen wussten es alle.«
Meine Stimme wird immer schriller. »Paride? Ludovica?«
»Nein, nein …«
Sie schütteln den Kopf und blicken zu Boden.
Meine Stimme bricht.
»Und … Alessia?«
Meine Mutter schüttelt nur noch ganz leicht, fast unmerklich den Kopf. So als hätte sie Angst, die Luft zu bewegen: Nein.
Ich muss wieder losheulen. Und dabei hatte ich versucht, die Tränen in weite Ferne zu verbannen.
»Sie wusste es nicht? Sie ist gestorben … ohne überhaupt |134| zu wissen, dass sie in Gefahr war? Wolltet ihr erst warten, bis jemand stirbt, um es uns zu sagen?«
Ich stehe auf.
»Vittoria, darum geht es nicht! Wir wussten nicht, dass sie hierherkommen würden! In Wahrheit wissen wir nicht mal, wer sie sind und wo sie sich befinden«, antwortet mein Vater.
»Was soll das heißen?«, frage ich verwirrt.
»Wir wissen nicht, wer sie sind. Wir wissen nicht, gegen wen wir uns verteidigen müssen …«, fügt er hinzu.
Mein Magen dreht sich um. Der Verdacht schmeckt bitter in meinem Mund.
Meine Mutter sieht mich an und scheint meine Gedanken zu lesen.
»Wir sind uns aber sicher«, fährt sie fort, »dass es sich um niemanden handelt, der schon seit Langem in dieser Stadt lebt. Es gibt einen Verdacht, aber ohne Beweise können wir nichts unternehmen.«
»Also? Was sollen wir jetzt machen?«, fragt meine Schwester.
»Geht nie alleine aus dem Haus. Abends solltet ihr besser nicht draußen herumlaufen und haltet euch bitte von unbekannten Leuten fern.«
Abscheu und tiefe Traurigkeit über das, was passiert ist, vermischen sich mit Angst und großer Sorge vor dem, was noch geschehen könnte. Meine Gefühle wirbeln durcheinander, als ob der Wind sie schütteln würde. Sie fallen herunter |135| wie totes Laub, das sich an einer von mir weit entfernten Stelle zu einem hohen Berg auftürmt.
Eine Woche vergeht.
Zwei Wochen vergehen.
Ich war nicht auf der Beerdigung. Es war, soweit ich weiß, eine sehr schlichte Zeremonie. Sie fand in der von der Apsis verdeckten Domkapelle statt, in die man nur durch eine winzige Tür hinter dem Altar eintreten kann.
Es gab unendlich viele Blumen.
Für mich ist an diesem Nachmittag die Zeit stehen geblieben.
|136| IN DER NACHT IST ES STILL
Ich kann schon wieder nicht schlafen. Ich stehe auf und gehe ins Wohnzimmer. Ich nehme eine Zeitung und lasse mich aufs Sofa fallen. Ich versuche, einen Artikel zu lesen, aber nach ein paar Zeilen lege ich die Zeitung wieder weg. Ich gehe in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Ich trinke es zur Hälfte aus, die andere Hälfte schütte ich ins Waschbecken. Ich nehme das Handy. Ich würde so gerne Lorenzo anrufen, aber sicher ist er jetzt noch im Tiefschlaf.
Ich setze mich wieder zurück aufs Sofa.
Ich summe ein Lied vor mich hin, einen meiner
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