Die Liebe ist ein Daemon
die mit diesem Hybridismus verbundenen Eigenschaften beschränken in unterschiedlicher Art und Weise ihre Fähigkeiten. Das führt letztendlich dazu, dass man unter ihnen, wie beim Menschen auch, tief gehende Unterschiede in der Ausformung der Charaktere finden kann.
Das Buch rutscht mir aus den Händen. Ein paar Sekunden lang weiß ich nicht, ob ich weiterlesen soll. Dann hebe ich es wieder auf.
Der Himmel verfolgt sie sogar im Meer
und das Meer spuckt sie wieder auf die Erde
und die Erde wirft sie in die Strahlen der unermüdlichen Sonne
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und die Sonne schickt sie weiter in die Wirbel des Himmels.
Alle weichen voller Abscheu vor ihnen zurück.
Haben sie dann die gerechte Strafe erhalten
und wurden geläutert,
dann nehmen sie den Platz und den Rang wieder ein,
den die Natur ihnen verliehen hat.
Jetzt klappe ich das Buch endgültig zu und lege es an die Stelle zurück, wo ich es gefunden habe. Ich gehe aus dem Arbeitszimmer und ziehe fest die Tür hinter mir zu.
Zurück im Wohnzimmer betrachte ich die Gegenstände um mich herum. Sie scheinen in der Dunkelheit zu schlafen. Beneidenswert, wie ihnen das gelingt. Die Dinge, die man kennt, machen einem selbst im Dunkeln keine Angst. Im Gegenteil, ihre vertrauten Umrisse haben fast etwas Beruhigendes.
Es ist wie mit den Gesichtern von geliebten Menschen.
Um mich herum wird es immer finsterer. Die Dunkelheit ist nur noch ein Ozean aus Öl und Tinte, der mir keine Luft mehr lässt. Ich brauche jetzt unbedingt einen Freund in meiner Nähe.
Ich nehme das Handy. Ich bin mir fast sicher, dass Lorenzo noch nicht tief und fest schläft. Dann wird ihn mein Anruf ja auch nicht stören.
In dem Moment, in dem ich die Nummer tippen möchte, leuchtet das Display auf.
»Lorenzo, ich wollte dich gerade anrufen!«
»Vicky«, sagt eine Stimme. Es ist seine Stimme, aber |141| irgendwie klingt sie so komisch. »Vicky«, wiederholt er. Diesmal ist es nur noch ein Flüstern.
»Lorenzo, was ist los?«, frage ich besorgt.
»Ich habe es für … euch getan«, sagt er tonlos. »Auch wenn es nicht gerade so gelaufen ist … wie ich dachte.«
»Lorenzo, du machst mir Angst. Sag mir bitte, wo du bist!«
|142| PURPURROTE FEDERN
Ich laufe durch die menschenleeren Straßen. Viterbo sieht aus wie eine Geisterstadt, es ist richtig unheimlich. Die Nacht ist feucht und kalt. Der erste Schultag ist schon ganz weit weg, er scheint mir eine Ewigkeit zurückzuliegen.
Die Stadt liegt wie ausgestorben da. In den leer gefegten Straßen gibt es nur das fahle Licht der Straßenlaternen. Ein leichter Wind weht. Ich zucke beim kleinsten Geräusch zusammen. Jedes Geknister dröhnt laut in meinen Ohren und jedes Rascheln gleicht einer Explosion.
Ich gehe immer schneller.
Der Wind heult auf wie ein wildes Tier.
Plötzlich schlägt mir das Herz bis zum Hals. Es klopft wie verrückt. Ich habe das Gefühl, dass jemand hinter mir herläuft. Ich ziehe die Jacke noch fester um mich, so als ob mir das genügend Schutz geben könnte.
Ich versuche mich zu beruhigen:
Da ist niemand
.
Ich bin fast angekommen.
Es ist niemand da
, wiederhole ich mir,
du redest dir das nur ein. Niemand verfolgt dich, du bist ganz allein.
Genauso allein wie Alessia.
|143| Genauso allein wie sie, als sie nachts nach Hause lief. Kurz bevor sie starb.
Ich komme an den Ort, wo Lorenzo mich treffen wollte. Aber ich kann niemanden sehen. Der Platz ist leer. Die Angst überfällt mich mit voller Wucht. Mein Blick schweift über den ganzen Platz, bis er an den Stufen vor der Kirche hängen bleibt.
Dort sehe ich ihn liegen.
Mein Herz bleibt plötzlich stehen.
Der dunkle Peperinstein ist voller Blut. Lorenzos Blut.
Es kommt mir vor wie ein schrecklicher Albtraum. Ich laufe zur Treppe und beuge mich über seinen leblosen Körper. Überall ist Blut, auf seiner Kleidung, auf dem Gesicht, auf den Haaren … auf den Flügeln.
Auf den Flügeln?
»Lorenzo! Was haben sie mit dir gemacht?«
Ich schlage die Hände vors Gesicht und unterdrücke nur mühsam die Schluchzer, die wie harte Schläge gegen meinen Brustkorb hämmern.
»Lorenzo, sag was! Sag, dass du noch lebst!«
Ich löse das lilafarbene Tuch von meiner Jeans und versuche damit, die stärksten Blutströme zu stoppen. Meine Hände werden blutig. Ich wische die heißen, salzigen Tränen, die mir die Sicht verschleiern, aus meinen Augen.
Die blutbefleckten Flügel liegen ganz unnatürlich gefaltet unter seinem Körper. Und überall sind Federn,
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