Die Liebe ist ein Daemon
Herz gegangen ist, und jeden Ton seiner Stimme, die ich immer noch im Ohr habe. Ich nehme einfach alles und passe dabei gut auf, nichts anzufassen. Vielleicht trage ich lieber Handschuhe, denn wenn ich nur irgendetwas |267| kurz berühre, werde ich es nie mehr los. Ach ja, ich darf all die leuchtenden Farben und die zärtlichen Momente nicht vergessen. Dann binde ich alles zusammen, verschnüre es fest und werfe das Bündel ins Feuer, ohne noch einmal hinzuschauen, während es brennt, verkohlt und zu Asche wird.
Dann werfe ich auch die Asche weg.
Das ist das einzig Richtige, was ich tun kann.
Ich möchte mich nur nicht irgendwann schuldig fühlen oder mich eines Tages dafür hassen müssen.
Ich vergrabe den Kopf in meine Hände und beiße mir so fest auf die Lippe, dass es wehtut. Auf meiner Zunge und zwischen den Zähnen schmeckt es nach Blut.
Mein Handy klingelt schon wieder.
Ich lasse es einfach läuten, früher oder später wird es schon wieder aufhören.
Lorenzo
steht auf dem leuchtenden Display.
Ich nehme ab.
»Endlich, Vicky, ich hab mir schon Sorgen gemacht!«
Meine Wut und mein ganzer Frust lösen sich auf. Lorenzo hat sich Sorgen gemacht, er hat Angst um mich, das allein reicht, dass ich ihn am liebsten umarmen würde.
»Du musst mir helfen. Wirklich. Mit Ginevra ist es ein einziger Albtraum und ich …«
Ich muss ihm helfen? Nachdem er ganz allein so ’nen Mist gebaut hat, soll ich ihm jetzt aus der Patsche helfen?
Es ist doch immer das Gleiche. Er braucht ein paar gute Tipps, ein wenig Unterstützung, nichts weiter. Jemanden, bei dem er sich auskotzen kann, einen Psychotherapeuten, der |268| ihm geduldig zuhört, einen ehrlichen Ratschlag, eine neutrale Meinung, eine Schulter zum Anlehnen und Ausheulen.
Das alles brauchst du, Lorenzo, und dabei ist es dir scheißegal, ob ich heute in der Schule war oder nicht und was eigentlich mit mir los ist.
Eine Welle der Wut steigt in mir hoch, jede Menge Frust, der alles vergiftet, und ich drücke das Handy so fest zusammen, dass es fast zerbricht.
»Also gut …«, zische ich zwischen den Zähnen hindurch. »Ich soll dir also helfen.«
Meine Stimme bricht vor Enttäuschung.
»Na klar, das versteh ich schon und ich helf dir auch. Ich hab dir ja immer geholfen, ich war immer für euch da.« Ich betone jedes einzelne Wort, meine Stimme wird immer lauter. »Weil ihr mir wichtig seid und das wisst ihr ganz genau. Aber … habt ihr eigentlich irgendwann mal daran gedacht, dass ich auch ein Leben habe? Und dass meins auch so richtig beschissen sein kann?« Ich fange an zu schreien und merke, wie mir die Tränen über das Gesicht laufen, was mich noch wütender macht. »Und dass ich vielleicht, aber nur ganz vielleicht, auch mal ein kleines bisschen Hilfe brauche?«
Ich schreie jetzt, so laut ich kann, bis sich meine Stimme überschlägt und in hemmungsloses Schluchzen übergeht.
Ich schalte das Telefon aus und schmeiße es auf den Boden. Es macht noch einen kleinen Hüpfer, um dann unter meinem Bett zu verschwinden.
Keine Sau interessiert sich dafür, wie es mir geht. Das allein ist die ganze Wahrheit.
|269| RICHTIG ODER FALSCH
Ich schlafe. Wenigstens gelingt es mir, ein bisschen zu schlafen, denn so brauche ich wenigstens nicht nachzudenken. Am liebsten würde ich eine halbe Ewigkeit einfach so im Bett liegen bleiben. Vielleicht habe ich ja Glück und muss nie mehr aufwachen …
Doch da klingelt es schon wieder, diesmal ist es jemand an die Tür, der mich aus meiner diffusen Traumwelt reißt, an der ich mich verzweifelt festzuklammern versuche.
Es klingelt und klingelt und in der Wohnung ist anscheinend niemand da, der mal die Tür aufmachen könnte.
Das Läuten wird immer aufdringlicher.
Wenn es der Postbote ist, dann kann er meinetwegen gleich wieder verschwinden. Und sollte es doch jemand anders sein, dann wohl kaum jemand, für den es sich lohnen würde aufzustehen. Also …
Es hört gar nicht mehr auf zu läuten. Das Geräusch bohrt sich in meinen Kopf, der Postbote ist das ganz bestimmt nicht.
Ich öffne jetzt niemandem die Tür, sage ich mir und setze mich in meinem Bett auf. Schon aus Prinzip nicht und außerdem fühle ich mich wie ein Zombie.
|270| Aber es klingelt immer weiter, so als ob mich die Klingel rufen oder beschimpfen wollte, es hört und hört nicht auf.
Ich seufze, schlage die Decke zurück und setze, vor Kälte bibbernd, die Füße auf den eisigen Fußboden.
Ich gehe schwankend durch mein dunkles
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