Die Liebe ist ein Daemon
Zimmer, taumle weiter den Flur entlang bis zur Haustür. In dem Moment, als ich den Hörer der Gegensprechanlage abnehmen will, läutet es schon wieder, aber dieses Mal klingt es irgendwie anders. Es ist ein richtig langes durchdringendes Läuten. So laut, dass man sich genau vorstellen kann, wie die Person da unten mit aller Kraft ihre Finger auf den Klingelknopf presst.
Es ist ein verdammt bekanntes Geräusch. So klingle eigentlich nur ich. Und das nur bei einem einzigen Menschen, der immer, wenn ich komme, gerade duscht oder seine Haare föhnt. Es ist mein Lorenzo-Spezial-Klingeln.
Ich ziehe die Hand wieder vom Hörer zurück.
Und habe einen bitteren Geschmack im Mund.
Jetzt hat es endlich aufgehört. Ich stelle mir Lorenzo vor, wie er resigniert und niedergeschlagen nach oben zu meinem Fenster schaut.
Aber er gibt nicht auf, er will einfach nicht aufgeben und wiederholt noch einmal und noch länger die ganze Operation. Die Türklingel ist jetzt eine wild gewordene Sirene, die unermüdlich denselben Ton von sich gibt. Ich mache meine Augen zu und schlucke den bitteren Geschmack hinunter.
Langsam, ganz langsam greife ich zum Hörer und führe ihn mit den Fingerspitzen an mein Ohr.
»Was willst du?«, flüstere ich.
|271| »Vicky.«
Seine Stimme klingt erleichtert. »Entschuldige. Bitte!«
Ich lasse mich an der Wand herunterrutschen und setze mich auf den Boden, den Hörer ans Ohr gepresst.
»Brauchst du mal wieder Hilfe?«
»Vicky, bitte lass mich rauf.«
Seine Stimme klingt nach Angst und Schuldgefühlen.
»Kannst du mir nicht einfach sagen, was dein Problem ist?«, frage ich tonlos. »Ich bin noch im Schlafanzug.«
Mir fallen ein paar Haarsträhnen ins Gesicht, aber ich mache mir nicht die Mühe, sie wegzuschieben. Ich lasse sie einfach wie einen Vorhang über meine Augen fallen, sodass ich eigentlich gar nichts mehr sehen kann.
»Nein Vicky, diesmal hast du ein Problem«, insistiert er. »Und du brauchst jemanden, mit dem du drüber sprechen kannst.«
Ich stelle mir vor, wie er da unten mit dem Gesicht am Lautsprecher klebt, so als ob das die Distanz zwischen uns ein wenig überbrücken könnte.
»Ich war so blöd, ich hab immer nur an mich gedacht.« Er seufzt. »Aber warum hast du mir nie gesagt, dass es dir nicht gut geht?«
Seine Stimme ist sanft und besorgt, so weich, als wollte er mich damit streicheln. Wie lange habe ich ihn nicht mehr so gehört? Er hat sicher recht mit seiner Frage, warum habe ich ihm eigentlich nie was erzählt? Der Hörer rutscht mir runter bis zum Kinn. Doch nur, weil Lorenzo immer tausend Sachen im Kopf hatte, ständig mit seinem Kram beschäftigt |272| war und immer weiter weggedriftet ist. Es ist immer schwerer geworden, an ihn ranzukommen, das war zumindest mein Eindruck. Deswegen habe ich ihm nichts gesagt. Ich habe ihm nicht nur das, was gestern geschehen ist, verschwiegen, sondern ihm eigentlich überhaupt nichts mehr erzählt.
»Du … du hattest doch schon genug Sorgen«, murmle ich leise.
Ich kann durch die Sprechanlage seinen schweren Atem hören.
»Es tut mir leid …«, sagt er langsam.
»Das muss dir nicht leidtun.«
»Doch, das muss es. Du bist nicht meine persönliche Psychotante, du bist es nie gewesen, aber ich habe lange Zeit so getan, als würde ich eine Therapie bei dir machen.«
Ich mache die Augen wieder auf und der bittere Geschmack im Mund wird langsam ein wenig süßer.
»Du bist doch meine allerbeste Lieblingsfreundin …«, sagt er und betont dabei jedes einzelne Wort.
Ich lächle schwach, schade, dass er das durch die Sprechanlage nicht sehen kann.
»Meinst du das ernst?«, frage ich leise.
»Ganz ernst. Verzeihst du mir noch einmal?«
Ich antworte nicht. Ich drücke stattdessen den Summer und wenig später steht Lorenzo vor der Haustür. Er springt sofort auf mich zu und drückt mich ganz fest.
»Verzeihst du mir wirklich? Ich bin echt ein Idiot.«
Ich ersticke fast in seiner Umarmung, aber sie tut mir unheimlich gut.
|273| »Ja, das hab ich dir doch schon gesagt.«
»Das hast du mir nicht gesagt.«
»Und warum hätte ich dich sonst reingelassen?«
In dem Moment lockert er seinen Griff und sieht mich prüfend an. Ich gebe sicher kein schönes Bild ab, so verpennt, wie ich noch bin. Im Bärchenschlafanzug und mit Haaren, die in alle Richtungen abstehen.
»Dir geht’s richtig mies, oder?«, fragt er mich ernst. Ich blicke auf den Boden und nicke.
»So ziemlich.«
Ich setze mich aufs Sofa und starre den Tisch
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