Die Liebe ist ein Daemon
aber voller Zuneigung.
»Danke«, antwortet er grinsend.
Ich drücke meine Fäuste vor die Augen. Langsam wird mir klar, dass Lorenzo sich nur auf Ginevra bezogen hat. Aber da gibt es nun doch einen Unterschied.
»Lorenzo, aber Federico ist ein …«
Das letzte Wort geht in einem Schluchzer unter.
»Ich habe dir nur gesagt, wie ich das sehe. Jetzt musst du entscheiden, ob es auch auf dich zutrifft und ob es für dich richtig oder falsch ist.«
Er reicht mir einen weißen zerknitterten Umschlag. »Aber zuerst solltest du das hier lesen.«
|277| ICH WÜNSCHE DIR EINEN TAG, DER NIE ZU ENDE GEHT
Ich drehe den Umschlag in meinen Händen, es gibt weder eine Briefmarke darauf, noch steht irgendein Absender auf der Rückseite. Ich betrachte ihn eingehend. Er ist ziemlich zerknautscht, wahrscheinlich ist er schon seit längerer Zeit unterwegs, lag vielleicht eine Weile zwischen den Seiten eines schweren Buchs oder ist im Inneren eines Rucksacks oder einer Tasche gereist. Vielleicht wurde er mehrmals geöffnet und der Brief wurde noch und noch mal gelesen. Von unsicheren Händen auseinander- und wieder zusammengefaltet, immer wieder, bis die Hände sicher wurden, ihn noch einmal gefaltet und schließlich endgültig zurück in den Umschlag gesteckt haben.
Ich lege ihn auf den Tisch.
Bleib da liegen, beschwöre ich ihn und gehe in mein Zimmer.
Ich ziehe den Schlafanzug aus, werfe ihn aufs Bett, gehe ins Bad, spritze mein Gesicht mit viel kaltem Wasser ab, reibe mir fest die Augen, um alle Müdigkeit aus ihnen zu vertreiben. Dann ziehe ich mich an und wasche mir noch einmal das ganze Gesicht, so lange, bis ich hellwach bin.
Dann gehe ich zurück ins Wohnzimmer und setze mich wieder aufs Sofa.
|278| Ich nehme den Umschlag in die Hand.
Hintendrauf steht nur ein einziges, mit Füller geschriebenes Wort.
Lies …
Danach drei Pünktchen. Jahrelang könnte ich hier noch sitzen und über diese drei Pünktchen nachdenken. Das kurze Wort davor könnte ich noch fünfzigmal lesen und jedes Mal würden die drei leicht verwischten Tintenpunkte eine völlig neue Bedeutung bekommen. Tausend Luftschlösser ließen sich aus diesen drei kleinen Punkten bauen und ebenso viele wieder niederreißen. Zehntausend Hoffnungen würde ich auf sie setzen und ebenso viele Enttäuschungen müsste ich vielleicht hinnehmen.
Schließlich öffne ich den Umschlag und ziehe ein vollgeschriebenes Blatt Papier heraus.
Ich halte es in den Händen und befehle mir, ruhig zu bleiben, langsam zu machen. Ich versuche, meine Augen zu bändigen, die bereits voll Ungeduld nach vorne springen wollen. Eine Zeile aus einem meiner Lieblingssongs kommt mir in den Kopf:
Con ogni parola un altro sentimento muore.
Mit jedem Wort stirbt ein weiteres Gefühl.
Hoffentlich gilt das nicht für mich.
Ich hole einmal tief Luft. Und fange an zu lesen.
Diesen Brief habe ich dir an dem Abend geschrieben, als ich mit deinem Roller von der Ausgrabungsstätte nach Hause gekommen bin. Nachdem wir stundenlang in einem Grab eingeschlossen waren, das fast unser Grab geworden |279| wäre. Oder besser gesagt meins, wenn du nicht gewesen wärst.
Ich schulde dir noch was, aber das hab ich dir ja bereits gesagt.
Du weißt einfach so viele Sachen über mich, Vicky, und vielleicht ist das unser Problem: Wir wissen zu viel vom anderen. Wenn wir von alldem nichts ahnen würden, wenn wir das große Glück hätten, überhaupt nichts zu wissen, dann wäre ich jetzt bei dir, könnte mit dir sprechen, unser Zusammensein genießen und müsste dir nicht diesen Brief schreiben.
Aber vielleicht ist es auch gut so. Es ist vielleicht sogar sehr gut, dass ich dir schreibe, und weißt du warum?
Die Wörter sind seltsame Wesen, man muss immer sehr gut aufpassen, dass sie einem nicht entkommen und dann eine falsche Bedeutung annehmen. Beim Schreiben kann ich wenigstens versuchen, sie zu zähmen, damit sie am Ende das sagen, was ich möchte.
Ich ruf sie jetzt zu mir, ich leihe sie mir aus allen Büchern, die ich jemals gelesen habe, und aus allen Liedern, die ich kenne.
Ich bin der, der ich bin. Das ist die Wahrheit. Und wir beide sind die, die wir sind, das ist einfach so. Aber wir können entscheiden, wie wir etwas sein möchten, oder zumindest habe ich das immer geglaubt.
Sieh dich doch einmal um.
Es gibt Blumen, die nicht duften.
Es gibt Vögel, die nicht singen.
Es gibt Gift, das einen nicht tötet.
|280| Und Engel, die nicht fliegen.
Und Dämonen … die sich verlieben
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