Die Liebe ist ein Daemon
Struktur des Leineneinbands. Meine Finger verharren auf dem sich leicht abhebenden Blumenmotiv und stoßen plötzlich an seine Hände.
Unsere Finger berühren sich, halten einen Moment inne. Dann krabbeln seine Finger weiter, seine Hand gleitet auf meinen Handrücken. Ich spüre, wie es mir heiß und kalt wird und sich die Gänsehaut wellenartig auf meinem Körper ausbreitet. Ich lege das Buch zur Seite. Seine Hände steigen weiter hoch, an meinen Unterarmen entlang, bis ich, fast ohne es zu wollen, mit meinen Fingern seine Handgelenke umgreife.
Doch dann spüren meine durch die Stille und die totale Finsternis erweiterten Sinne etwas Unerwartetes unter den Fingerspitzen. Eine Linie, eine kleine Erhebung, die sich um das Handgelenk von Federico schlängelt. Sie ist fast nicht wahrnehmbar unter seiner glatten, perfekten Haut, aber trotzdem kann ich die Umrisse ertasten und mir das Bild dazu vorstellen.
Was zum Teufel machst du da eigentlich?
, explodiert die Stimme in meinem Kopf. Mit einem Mal ist sie wieder wach geworden.
Bist du komplett verrückt geworden? Hör auf damit!
, zischt sie wütend.
Wie kannst du nur so egoistisch sein und nur an dein Glück denken und nicht an die Sicherheit der Gemeinschaft? Du bringst den Tod zu den Engeln, was meinst du wohl, was deine Eltern dazu sagen werden? Du denkst doch nicht etwa, dass sie jemals eine solche Beziehung akzeptieren? Du bringst dich in Gefahr, dich und alle anderen Engel auch! Hör
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sofort auf! Du willst es doch eigentlich gar nicht, du hast doch selbst darum gebeten, dass es aufhört, erinnerst du dich nicht? »Wenn es keine Zukunft für uns gibt, dann lass es bitte niemals beginnen.« Das waren deine eigenen Worte!
Vor meinem inneren Auge flammt das eingebrannte Zeichen auf. Es ist der Beweis dafür, dass meine verfluchte innere Stimme recht hat. Und es ist eine ständige Mahnung, dass die Dinge sich niemals verändern und die Nacht nie zusammen mit dem Tag existieren kann.
Ich betaste vorsichtig die Tätowierung an seinem Handgelenk und starre auf das allzu Offensichtliche.
»Nein!!!«, schreie ich, als ob man mir ein Messer an den Hals gehalten hätte.
Federico springt erschrocken zurück.
»Ich kann nicht hierbleiben«, sage ich und gehe einen Schritt auf die Tür zu. Er ist ratlos, versteht überhaupt nicht, was ich da sage. Plötzlich geht das Licht wieder an.
»Was ist denn los? Geht’s dir nicht gut?«
»Nichts ist los, ich kann nur nicht länger hierbleiben. Ich muss nach Hause.«
»Gut, dann begleite ich dich …«
»Nein!«, schreie ich wieder leicht panisch. »Nein … ich geh allein.«
»Ich versteh dich nicht, was hast du denn? Du siehst so blass aus …«
»Zwischen Lorenzo und Ginevra ist es aus«, sage ich plötzlich. »Nach Jahren haben sie einfach Schluss gemacht und das ist so schrecklich, einfach furchtbar. Bloß wegen |265| einer so alten grundlosen und stumpfsinnigen Vorschrift durften sie nicht zusammenbleiben.«
In dem Moment merkt er, dass sein Ärmel hochgerutscht ist, er zieht ihn wieder runter und sieht mich an: »Also ist es nicht deswegen.«
»Deswegen … und überhaupt«, murmle ich.
Er weiß nicht, was er antworten soll.
»Also … es tut mir leid«, sage ich und schieße aus dem Zimmer. Nur einen Augenblick später bin ich dabei, das Moped zu starten.
Er kommt mir hinterhergelaufen. »Warte«, bittet er fast flehentlich und hilflos.
Er will mich noch aufhalten, aber der Motor reagiert sofort, ich fahre auf die Straße. Der Wind verwischt meine Tränen. Schnell entferne ich mich und versuche verzweifelt, mich nicht mehr umzudrehen.
|266| IN MEINEM HERZEN HERRSCHT TIEFSTE NACHT
Wie viele Tränen kann ein Mensch vergießen, bis er austrocknet und stirbt?
Ich gehe jetzt schlafen, bitte weckt mich erst in zehn Jahren wieder! Falls mich jemand sucht, dann sagt ihm einfach, dass ich in einem Traum gefangen bin, in einem Traum, den ich sicher bald vergessen werde.
Im Zimmer ist es dunkel und in meinem Herzen herrscht tiefste Nacht. Eine stockdunkle, eisig kalte Nacht, ohne einen einzigen Stern am Himmel.
In diesen Nächten voll Schmerz und Leid gibt es einfach keine Sterne. Nichts, was einem Orientierung geben kann, den Weg zeigt und verhindert, dass man sich verläuft.
Ihn einfach und für immer vergessen. Das ist das Einzige, was ich jetzt tun kann.
Ich nehme alle Erinnerungen, jede einzelne Sekunde. Ich nehme alle Empfindungen, jeden einzelnen Duft, jeden Blitz, der mir durch’s
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