Die Liebe ist ein Dieb und der Pirat der Träume (German Edition)
Rückwärtsrolle vollführt hatte.
„Na ja, ich habe die Schweiz immer für ziemlich isoliert gehalten“, war Grandma fortgefahren und hatte Peter beruhigend zugenickt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mit irgendjemandem Kontakt halten würde, wenn ich dorthin ziehen würde.“ Sie lächelte und drückte liebevoll seinen Arm.
„Es ist sehr … abgeschieden“, bestätigte Peter, den Blick starr auf den Boden gerichtet.
„Oh ja, sicher!“, erwiderte ich und schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich Dummerchen! Deshalb ist es ja auch ein Steuerparadies! Weil es dort keine Telefone, keine Computer, kein Papier und keine Stifte gibt, mit denen man Briefe schreiben kann, und nicht einmal Postämter, in denen man Briefmarken kaufen kann. Reiche Leute verschwinden in der Schweiz ganz einfach, so wie in einem von Bergen umgebenen Bermudadreieck, und tauchen nie wieder auf. Und sie verschwinden für immer . Ich gestehe, dass ich dasselbe mit dem Finanzamt versucht habe, aber die Bastarde kommen einfach immer wieder in mein Büro. ‚Ich bin Schweizerin‘, hab ich ihnen schon mehrfach erzählt. ‚Ich habe mit niemandem Kontakt. Ich lebe auf einer Art Insel voller Geheimnisse‘, aber sie haben mich trotzdem gezwungen, Steuern zu zahlen, und sie haben das doch tatsächlich mit einem mit der Hand geschriebenen, verdammten Brief getan!“ Wovon, zum Teufel, redete ich hier eigentlich?
„Gütiger Himmel, Kate, was schreist du denn so? Nicht alle von uns können eine verdammte Anne Frank sein.“
„Ich habe ihn nicht gebeten, sich unter den Dielen zu verstecken und mir ein Tagebuch zu schreiben, Grandma! Peter, du bist einfach vom Erdboden verschwunden!“
„Er war in der Schweiz, Schätzchen. Du wusstest, dass er in der Schweiz war. Darf der Junge keine Ausbildung genießen? Und ich weiß auch nicht, warum heutzutage jeder so besessen von allen möglichen Kommunikationsformen ist“, meinte Grandma leicht genervt und setzte sich an den Küchentisch. „‚Soziale Medien‘ nennen sie es. Dabei hat es überhaupt nichts Soziales an sich. Ich finde es gut, wenn es mal still ist, man seine Ruhe hat und sichauf seine Arbeit konzentrieren kann. Ich vermute, so ist es auch in der Schweiz.“ Während sie das sagte, klopfte sie auf den Stuhl neben sich.
„Ich bin nicht bei Facebook registriert“, ließ Peter verlauten und setzte sich hin. Seine Attraktivität hatte sich, seit ich ihn mit fünfzehn das letzte Mal gesehen hatte, praktisch verdreifacht. Ich dagegen war „fifty shades of grey“, also eher wie eine graue Maus im Vergleich zu ihm, und damit wollte ich nicht auf das literarische Softporno-Äquivalent anspielen. Ich meinte damit den düsteren, farblosen Nebelton, der nicht einmal in einem Regenbogen vorkommt. Peter Parker war ein verdammter Regenbogen, und ich war die düstere, unwillkommene Regenwolke in der Ferne. Die Schweiz war vermutlich das ästhetische Äquivalent von Lourdes.
„Natürlich bist du nicht bei Facebook, Peter, sonst hätte ich dich ja gefund…“ Ich verstummte, als mir klar wurde, dass ich mich gerade als so eine Art Stalkerin entpuppt hatte. Aber wozu war Google sonst da?
Peter starrte mich nur ausdruckslos an.
„Kate, wir sehen uns dann am Wochenende.“ Grandma lächelte mich an, bevor sie Peter ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte. „Ich habe einen leckeren Schweinebauch gemacht. Ich hoffe, er schmeckt dir.“
„Schweinebauch hört sich gut an, Josephine“, hatte ich Peter noch sagen hören, als ich so vehement davonstapfte, dass es ausgesehen haben musste, als würde ich durch imaginären Sirup waten oder als würde ich eine theatralische Pantomime vollführen. „Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal Schwein gegessen habe“, hatte Peter mit seinem typisch tonlosen Enthusiasmus verkündet, als ich die Haustür geräuschvoll hinter mir geschlossen hatte. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal solch einen kompletten Schwachsinn gehört hatte. Peter Parker, mein ältester, bester, langjähriger und vom Erdboden verschwundener Freund, und Grandma, meine wichtigste Bezugsperson, saßen da wie in einer Farce, so als wäre es völlig normal, dass Peter Parker nach all den Jahren jetzt auf einmal wiederauftauchte. Das Ganze wäre ja noch zu entschuldigen gewesen, wenn sie Drehbuchautoren für „Dallas“ gewesen wären. Aber ich glaube, wir können uns alle darauf einigen, dass heutzutage niemand mehr Drehbücher
Weitere Kostenlose Bücher