Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
Vom Netzwerk:
dreht das Rad einer imaginären Trommel. Richtet den Zeigefinger auf ihre Schläfe.
    »Dein Bruder hat Selbstmord begangen, ist es das, was du mir sagen willst?«, fragt er mit plötzlich tonloser Stimme.
    Was er da gerade erfahren hat, lässt ihn schwanken.
    »Nicht wirklich … Russisches Roulette. Er nannte es das verbotene Glücksspiel.«
    Sie schöpft Atem, zwingt sich zu einem Lächeln, dessen Anblick wehtut.
    »Normalerweise setzte er auf Hunde, aber da er keine Hunde mehr hatte …«
    Odon lässt sich langsam in einen Sessel fallen, eine Hand ruht auf der Lehne. Seine Finger zittern. Er presst sie gegeneinander.
    Der Schweiß steht ihm auf der Stirn.
    »Es ist verrückt, was für ein Blutbad eine einzige Kugel anrichten kann …«, sagt Marie.
    Odon breitet ohnmächtig die Hände aus. Wenn er auf den Fluss blickt, wird ihm schwindlig. Er blickt sie an. Sie lügt nicht.
    Sie wirkt ruhig, ihr ganzer Körper scheint zu schmerzen.
    »Was haben Sie empfunden, als meine Mutter Ihnen sagte, dass mein Bruder gestorben sei?«
    »Das habe ich dir bereits erklärt.«
    »Man ist immer sehr schnell mit Erklärungen bei der Hand.«
    Er fährt sich mit den Händen über das Gesicht und dann mit den Fingern durchs Haar. Eine Weile sitzt er so da, mit schwerem Kopf.
    Er erinnert sich, dass er ganz benommen war. Tagelang wusste er nicht, was er tun sollte, und fragte sich, ob er schuldig sei.
    »Ich hatte einen Text, aber keinen Autor mehr.«
    »Es gab einen Autor!«
    »Ja, Marie …«
    Er steht auf.
    Sie bleibt im Sessel sitzen, die Beine über der Lehne.
    »Mein Bruder wurde Indianer genannt. Bevor er am letzten Abend fortfuhr, hat er im Briefkasten nachgesehen, er glaubte nicht mehr daran, aber er hat trotzdem nachgeschaut … Die Bullen fanden seinen Körper am Ufer der Seine, im Gras, sie sagten, es sei eine Abrechnung unter Ganoven gewesen.«
    Sie kratzt ihre Handfläche mit den Fingernägeln. Ihre Mutter verkaufte danach den Lieferwagen. Im Handschuhfach schaute sie nicht nach, es lagen noch beschriebene Seiten darin.
    Sie löst eine Kruste, zieht sie langsam ab.
    »Hör auf.«
    »Ich kann nicht.«
    Er lehnt sich an die Reling.
    Wo ist der Zufall? Hätte er früher angerufen, hätte Selliès nicht diese idiotische Wette mit sich selbst gemacht. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
    »Jetzt muss ich Sie hassen.«
    Sie sagt es mit trauriger Stimme.
    »Wie du willst.«
    »Nein, nicht wie ich will.«
    Er blickt auf den Fluss.
    »Du wirst dich selbst zugrunde richten«, sagt er.

E s wird Tag. Noch kann man atmen, doch schon in wenigen Stunden wird die Hitze alles schwer machen.
    Odon hat schlecht geschlafen. Er hat Tränensäcke unter den Augen und das Aussehen eines kosovarischen Flüchtlings, als er an Deck kommt.
    Er trinkt seinen Kaffee.
    Er lässt Wasser ins Spülbecken laufen und sucht Big Mac, findet ihn bald. Das Fenster steht einen Spalt offen, die Kröte braucht nur ein paar Schritte zu machen, um nach draußen zu gelangen.
    Das Radio läuft. Im Norden regnet es. Hier müsste es ebenfalls regnen. Die Erde wartet seit Wochen darauf. Die Menschen, die Bäume, die Tiere. Selbst der Staub sehnt sich nach Regen.
    In der Ferne fährt ein Zug vorbei, der Wind trägt das Geräusch heran.
    Er schenkt sich einen zweiten Kaffee ein.
    Er schaltet sein Handy ein und ruft Mathilde an.

D ie Jogar trägt die Erinnerung an die Straße in ihrem Gedächtnis. Ein Leuchtschild, Nummer 19. Odon hat ihr eine Nachricht hinterlassen, sich mit ihr verabredet. Er hat nicht erklärt, warum. Seine Stimme klang angespannt.
    Sie kennt diesen Ort. Es ist ein niedriger Raum mit einer langen Bar und Barhockern. An den Wänden hängen Poster. Man legt dort Jazzplatten auf.
    Sie geht hinein. Auf der Tanzfläche tanzt ein Mädchen, Latinojazz, Blues, Soul. An den Tischen sitzen Leute. Rotes Licht, ein wenig düster.
    Odon sitzt an der Bar. Die Ellbogen aufgestützt, breite Schultern. Ein graues Leinenhemd.
    Sie zieht einen Hocker dicht an seinen heran. Sie weiß, wie schwer sein Männerkörper zwischen ihren Schenkeln wiegt. Ein Körper wie ein Abdruck.
    Sie setzt sich auf den Hocker. Er dreht sich halb zu ihr.
    Er deutet auf sein Glas. Er hat bereits getrunken, zu viel.
    »Trinken hilft mir, mich zu erinnern.«
    »Und woran willst du dich erinnern?«
    Er lässt seinen Blick an ihrem Rock entlangwandern.
    »An alles. An dich.«
    Ihr letzter Urlaub in Fécamp, es regnete, es war unmöglich, sich im Freien aufzuhalten, doch sie wollten das Meer sehen,

Weitere Kostenlose Bücher