Die Liebe kommt auf leisen Pfoten
festgestellt hatte, wie viel Uhr es war. Sie hatte am Vorabend vergessen, den Wecker zu stellen und würde es niemals mehr pünktlich ins Geschäft schaffen.
Hastig trank sie einen Schluck Saft und eilte ins Bad. Sie erschrak über ihr eigenes Spiegelbild. Ihre Augen waren rot und verquollen, aber für mehr als kaltes Wasser ins Gesicht hatte sie keine Zeit. Mit fast einer Stunde Verspätung saß sie schließlich im Geschäft hinter ihrem Schreibtisch. Ein paar ihrer Kollegen hatten ihr verwunderte Blicke zugeworfen. Es traute sich jedoch niemand zu fragen und sie war froh darüber. Als sie sich gegen 11 Uhr gerade eine Tasse Tee im Aufenthaltsraum holte, rief ihre Tante an. Sie teilte mit, dass die Beerdigung am nächsten Tag um 15 Uhr sein würde. Tanja hatte das Gespräch gerade beendet, als sie das dreckige Lachen des Junior-Chefs hinter sich hörte. „Da hat jemand aber eine ganz schön aufregende Nacht hinter sich“, grinste er Tanja anzüglich an.
Sie ließ ihn jedoch links liegen und ging einfach aus dem Raum. Er folgte ihr. Tanja hatte keine Lust darauf, dass er in ihrem Büro wieder zudringlich wurde. Sie wollte die Konfrontation mit ihm gleich hier im Gang hinter sich bringen, damit es auch die anderen Kollegen mitbekamen. Ihre Nerven lagen eh schon blank und sie hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren, deshalb wollte sie es kurz und schmerzlos hinter sich bringen. Abrupt blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um, so dass er fast auf sie drauf gerannt wäre. „Chef, ich brauche morgen Nachmittag frei. Wenn Sie wollen, nehme ich dafür auch den ganzen Tag Urlaub.“
„Darf ich auch wissen, wofür?“
„Nein, das ist privat.“
„In diesem Fall wird es leider nichts werden mit dem Urlaub.“
„Aber ich brauche morgen frei.“ Tanja konnte es nicht fassen, das war reine Schikane.“
„Ich brauche auch so einiges.“
„Ich habe noch genug Resturlaub. Und es gibt keinen Grund dafür, dass ich morgen nicht frei bekomme“, sagte sie energisch.
„Erst zu spät kommen und dann auch noch Ansprüche stellen.“ Jetzt wurde ihr Chef lauter und die ersten Kollegen spitzten schon die Ohren.
„Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Und wenn Sie mir keinen triftigen Grund sagen, warum ich morgen unbedingt hier sein muss, dann nehme ich mir frei.“
„Du hältst Dich wohl für etwas Besonderes, Du Miststück“, sagte er nun so leise, dass nur sie es hören konnte. „Aber wenn Du morgen unbedingt frei haben willst, dann werde ich nachher in Dein Büro kommen. Da kannst Du mir dann zeigen, wie sehr Du unbedingt frei haben willst.“
„Ach fick Dich doch ins Knie, Du notgeiler Bock!“, platzte es aus Tanja raus. Und zwar so laut, dass es nicht nur sämtliche Kollegen mitbekommen hatten, die gerade in der Nähe waren, sondern auch der Senior-Chef, der gerade um die Ecke gekommen war. Wie angewurzelt blieb er stehen und sah Tanja fassungslos an. Die stürmte in ihr Büro und knallte die Tür hinter sich zu. Wie schon von ihr befürchtet stand ein paar Sekunden später der Senior-Chef in der Tür. „Frau Klein, ich möchte Sie in einer halben Stunde in meinem Büro sehen.“ Danach war er auch schon wieder aus dem Zimmer verschwunden.
„Da bin ich wohl ein kleines bisschen über das Ziel hinaus geschossen“, sagte sie zu sich selbst. Die Zeit zog sich wie ein Kaugummi und als die dreißig Minuten schließlich rum waren, kam sich Tanja vor, also ginge zu ihrer eigenen Hinrichtung.
„Herein“, rief der Senior-Chef, nachdem sie an seine Bürotür geklopft hatte. „Nehmen Sie bitte Platz“, forderte er sie auf und zeigte auf einen Stuhl, der an dem großen Runden Tisch in der Ecke stand. Krause-Junior saß ebenfalls schon am Tisch und machte ein betont sachliches Gesicht. Nachdem Krause-Senior selbst Platz genommen hatte, faltete er seine Hände und sah sie mit ernster Miene an. „Frau Klein, können Sie mir erklären, was gerade mit Ihnen los ist? Ich erkenne Sie nicht wieder.“
„Es ist nichts. Ich habe heute Nacht nur sehr schlecht geschlafen.“ Tanja verspürte nicht das geringste Bedürfnis, den beiden etwas von ihrem Opa zu erzählen. Sie wollte sich vor dem Junior nicht die Blöße geben, weinen zu müssen.
„Ich gebe zu, der Vorfall von gerade eben hat mich sehr erschreckt“, hakte der Senior-Chef nach. „Aber wie mir mein Sohn berichtet hat, sind Sie in letzter Zeit schon öfters negativ aufgefallen.“
„Negativ aufgefallen?“ Tanja horchte auf. „Wie
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