Die Liebe verzeiht alles
klaren Gedanken zu fassen. Und sie sollte bestimmt nicht glauben, sie beide könnten wieder dort anknüpfen, wo sie aufgehört hatten. Dazu hatte sie damals zu viel falsch gemacht.
„Ich plane für September ein großes Fest“, erzählte er freimütig und überraschte Lilah erneut.
Früher hatte er nie eine Party besucht, geschweige denn, eine veranstaltet. „Wenn du Zeit hast, guck doch mal vorbei und feiere mit.“
Lilah war noch nicht einmal mehr sicher, ob sie die nächsten zwei Wochen in Kalamoose bleiben sollte, und wusste erst recht nicht, was in zwei Monaten war. Sag irgendetwas, forderte eine innere Stimme sie auf, weshalb sie sich zu der Frage zwang: „Was feierst du denn?“
Ein Lächeln zeigte sich auf seinem markanten Gesicht. „Meine Hochzeit“, antwortete er und wirkte ungeheuer zufrieden und erfolgreich, wie der lebende Beweis dafür, dass Amerika noch immer das Land der Selfmademen und zweiten Chancen war.
Gus empfand auch wirklich eine riesige Genugtuung und Bestätigung. Er hatte sich endlich revanchiert, und es fühlte sich herrlich an. Zwölf Jahre hatte er gewartet, um zu erleben, dass Lilah zumindest ansatzweise spürte, welchen Schock und Schmerz sie ihm damals zugefügt hatte.
Die Tatsache, dass die Beziehung ewig her war und man ihr Verhalten damals ihrer Jugend und Unreife zuschreiben konnte, hatte seine Wut bis heute nicht besänftigt. Gus war selbst darüber erstaunt.
Im Gefängnis war er von einem Psychologen betreut worden. Er hatte sich anfangs gegen alles gesperrt, was der Mann ihm erzählte, dann aber seine Hilfe angenommen und einiges gelernt. Offenbar jedoch nicht genug, um die Bitterkeit oder die Rachsucht ganz zu besiegen. Die große Befriedigung, die er empfand, während Lilah die Nachricht von seiner baldigen Hochzeit verdaute, überraschte ihn selbst.
Zunächst spiegelte sich Bestürzung in ihren Augen wider. Dann runzelte sie die Brauen, als würde seine Mitteilung sie verwirren. Gus beobachtete sie genau und musste sich sehr zusammenreißen, um keine Miene zu verziehen, als ein Anflug von Eifersucht über ihr Gesicht huschte. Er hätte nicht gedacht, dass er sie noch irgendwie berührte. Verdammt, aber die Erkenntnis tat gut.
Auch mit fast dreißig war sie eine hübsche Frau. Erging es ihr ähnlich wie einer ledigen Mitarbeiterin in seinem Büro in Chicago? Diese war sofort nach dem dreißigsten Geburtstag jedes Mal zutiefst deprimiert gewesen, wenn sie gehört hatte, dass jemand heiratete.
Lilah schien noch Single zu sein, denn sie trug keinen Ring. Was jedoch nicht unbedingt etwas heißen musste. Manche Frauen trugen ihn nicht ständig. Allerdings bezweifelte er, dass Lilah zu diesen Frauen zählte. Sie würde sich mit dem Ring, der sicher durch einen großen Stein ins Auge sprang, schmücken wollen. Schließlich war sie jemand, der gern auffiel.
Zumindest war sie es früher gewesen. Gus hingegen hatte in der Highschool ein ganz anderes Ziel verfolgt. Nämlich so unsichtbar wie möglich zu sein, damit niemand ihn beachtete, den Jungen aus der verrufensten Familie in Kalamoose.
Damals hatte er geglaubt, Lilah wollte ihre Beziehung aus dem gleichen Grund nicht publik machen wie er: Weil diese nämlich für sie beide etwas ganz Besonderes war und zu kostbar, um sie der Kritik der selbstgerechten Kleinstädter preiszugeben. Er hatte Lilah hundertprozentig vertraut. Das war ein schrecklicher Fehler!
„M…meinen Glückwunsch.“
„Vielen Dank. Und was kann ich für dich tun?“
„Wie bitte?“
„Nikki hat mir gesagt, du wolltest mich sprechen.“
„Nikki?“
„Ja, die Kellnerin.“
„Ach so. Nein, ich habe nach Ernie gefragt.“
Im Nu zählte Gus zwei und zwei zusammen. „Nikki hat mir gesagt, du wolltest mit dem Eigentümer sprechen, und offenbar gedacht, du meintest mich. Ich habe das Lokal vor einem Monat gekauft“, erklärte er und versuchte, weder stolz noch herausfordernd zu klingen. Ihm wurde nämlich langsam bewusst, dass er sich nicht gerade wie ein Erwachsener benahm. Hier zu stehen und Lilahs Neid wecken zu wollen, indem er sich mit einem Haus und einer Braut brüstete, war unreif und zudem seiner Verlobten gegenüber unfair. „Wenn du mit Ernie reden möchtest, können wir dir sicher behilflich sein.“
„Dies ist dein Restaurant?“ Lilah hatte das Gefühl, für heute genug Überraschungen erlebt zu haben. „Und die Tankstelle, sie …“
„Ja, sie gehört mir auch.“
Eigentlich sollte sie sich für Gus freuen, der im
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