Die Liebe verzeiht alles
zu plaudern. „Ich rede von der Straftat, die sich mehrere Jahre vorher ereignet hatte. Davon, dass ich mich in die Nichte des Sheriffs verliebte.“
„Es ist jetzt Mitternacht.“ Hoffentlich schliefen Bree und Sara fest. „Du solltest nicht hier sein.“
„Ich hätte nie hier sein sollen. Was dich aber früher nicht gestört hat.“
„Wir haben uns eben beide verändert. Was willst du?“
„Dass du mich herein bittest.“ Gus nickte in Richtung Küche. „Weißt du, dass ich das Haus noch nie von innen gesehen habe?“
„Das ist keine gute Idee.“
„Warum nicht? Hast du Angst, mir könnte die Einrichtung nicht gefallen?“
„Weil es schon so spät ist. Meine Schwester …“
Kühl blickte Gus sie an. „Sie hat mich noch nie gemocht. Aber ich habe jetzt ein eigenes Bad, und meine Kleidung ist fast immer sauber. Ich errege wohl bei niemandem mehr Anstoß.“
„Das habe ich nicht gemeint. Was dir auch klar ist.“ Allerdings wäre es gelogen, zu behaupten, sie hätte sich seinetwegen nie geschämt.
Bei ihrer ersten Begegnung war sie neugierig und auch etwas verängstigt gewesen. Sie hatte als Elfjährige mit ihren Schwestern von Seattle nach Kalamoose ziehen müssen, da ihre Eltern in den zweiten Flitterwochen tödlich verunglückt waren. Und der Verlust der heiß geliebten und fürsorglichsten aller Menschen hatte sie stark verändert.
In dem Moment, in dem sie begriffen hatte, dass Mutter und Vater nie mehr zurückkehren würden, hatte sie aufgehört, sich geliebt zu fühlen. Stattdessen kam sie sich verlassen vor – nicht von den Eltern, sondern vom Universum. Was die Situation für sie in gewisser Hinsicht noch verschlimmert hatte.
Bei ihrer Ankunft in ihrem neuen Zuhause war sie verunsichert und durcheinander gewesen. Außerdem hatte sie sich aus irgendeinem Grund davor gefürchtet, jemandem zu erzählen, was sie empfand. Damals war ihr letztlich nur eines wichtig gewesen: Sich anzupassen und von Onkel Harm, ihren Mitschülern, den Lehrern und jedem in ihrem Umfeld geliebt zu werden.
Wenn sie jemand total Besonderes wäre und von allen gemocht würde, so ihre Überlegung, würde man sie im Himmel als wertvollen Menschen ansehen und ihr kein weiteres Unheil schicken. Eine zweifellos kindliche Vorstellung, an die sie jedoch heute noch glaubte.
Seit dem ersten Tag in der neuen Schule hatte sie geschauspielert. Sie hatte ihre Angst hinter einem Lächeln versteckt und sich Freunde gesucht, um die schmerzliche Leere in ihrem Innern auszufüllen. Bis zu ihrem dreizehnten Geburtstag war sie das beliebteste Mädchen ihrer Jahrgangsstufe geworden und hatte ihre Angst fast vergessen. Auch war sie zur Kirschblütenprinzessin gewählt worden und jedem Einwohner in Kalamoose bekannt.
Irgendwann dann hatte ihr Onkel Harm beschlossen, es wäre an der Zeit, dass sie sich durch einige gute Taten auszeichnete. Und so hatte sie Gus Hoffman kennengelernt …
„Aber ich bin heute bei Cathie zum Mittagessen eingeladen“, sagte Lilah beim Frühstück und blickte ihren Onkel flehentlich an. „Meine drei besten Freundinnen werden auch kommen.“ Und sie wollten etwas Wichtiges bereden: Wie sie es als Siebtklässlerinnen schafften, dass fünf Jungen aus der Neunten sie aufforderten, sie zum Herbsttanz zu begleiten.
Harm schob seinen Stuhl zurück und stand auf, um sich noch einen Kaffee einzuschenken. „Du kannst später zu ihnen stoßen“, erwiderte er in seiner freundlichen und zugleich entschiedenen Art, die ihn zu einem allseits geachteten Sheriff machte. „Ich möchte, dass du den Karton mit Kleidungsstücken in der Kirche abholst und in mein Büro bringst“, wiederholte er seine Bitte. „Sobald Gus da ist, kannst du ihm bei der Auswahl helfen und die restlichen Sachen danach wieder zurücktragen.“
„Warum kann er sie sich nicht selbst in der Kirche aussuchen?“
„Wenn wir es so handhaben, erweckt das weniger den Eindruck von Mildtätigkeit.“
Aber ich habe keine Lust, meinen Samstag damit zu vergeuden, indem ich in alten Klamotten wühle, die nach Mottenkugeln riechen, dachte sie. Außerdem wollte sie das wichtige Treffen mit ihren Freundinnen nicht versäumen, nur weil sie sich um Gus kümmern sollte. Das würde man ihr nie vergessen. Und ob sie die Begegnung überhaupt überlebte, war fraglich.
„Ich fasse es nicht, dass du deine Nichte mit ihm allein lassen willst. Aus ihm wird sicher mal ein Dieb oder vielleicht sogar ein Serienmörder. Wahrscheinlich bin ich sein erstes Opfer.
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