Die Liebe verzeiht alles
für mich bestellen?“
„Okay.“
Lilah stand auf und ging in den hochhackigen weißgoldenen Sandaletten auf die Kasse zu. Nur Mut, redete sie sich gut zu und strich die langen Haare zurück, die sie gründlich gebürstet hatte. Dann holte sie das gerahmte Porträt von George Clooney, ein Geschenk für Ernie, den Lokaleigentümer, aus der Handtasche. Seit Jahren erfreute sie ihn mit signierten Aufnahmen von Hollywoodstars, die er überall im Restaurant aufgehängt hatte.
Nicht, dass es schwer war, an die Fotos heranzukommen. Wie jeder andere Fan schrieb sie an die entsprechende Agentur und bat um ein Bild mit Autogramm. Für Ernie und seine Kundschaft waren diese Porträts jedoch der Beweis, dass Lilah es in Los Angeles zu etwas gebracht hatte, und dass sie all die Leinwandgrößen kannte. Natürlich hatte Lilah die Leute in dem Glauben gelassen.
Hoffentlich hilft mir Ernies unverdiente Bewunderung, dachte sie, während sie einen Fuß vor den anderen setzte. Sie hatte nur noch wenig Geld auf dem Konto und wollte auf keinen Fall die zweitausend Dollar antasten, die Grace für Bree angespart hatte. Das Mädchen sollte einmal selbst darüber verfügen können und wissen, dass sie ihrer Mutter enorm wichtig gewesen war.
Grace hatte sich solche Sorgen gemacht und Lilah alles schauspielerische Können abverlangt. Zweifellos war es ihre bislang beste Darbietung gewesen, als sie die Freundin davon überzeugte, ihre finanzielle Situation wäre in Ordnung. In Wahrheit aber war ihr der Job als Kellnerin gekündigt worden, weil sie wegen Grace’ Krankheit zu oft nicht hatte arbeiten können. Sie hatte die sterbende Frau angelogen, was je nach Betrachtungsweise entweder ihre erste barmherzige Tat gewesen war oder ein Zeichen dafür, dass sie noch tiefer gesunken war. Zumindest hatte sie eines erreicht: Grace war in dem Glauben eingeschlafen, dass Lilah über genügend finanzielle Mittel verfügte.
Auch den Menschen in Kalamoose hatte sie etwas vorgegaukelt. Seit Jahren hatte sie bei ihren Besuchen das Märchen von der erfolgreichen Schauspielerin verbreitet. Sie war nicht weiter ins Detail gegangen, sondern hatte einfach nur behauptet, dass sie schon einige gute Rollen bekommen hätte.
Nun beabsichtigte sie, Ernie zu erzählen, dass sie in einem Theaterstück eine Kellnerin spielen sollte. Sie wollte ihn bitten, sie eine Weile als Bedienung zu beschäftigen, damit sie praktische Erfahrungen sammeln könnte. Hoffentlich erfüllte er ihr den Wunsch. Anderenfalls müsste sie sich nämlich eingestehen, dass sie mit fast dreißig nahezu pleite und nach den allgemeinen Wertvorstellungen, insbesondere ihren eigenen, eine Versagerin war.
Lilah blieb bei der Kasse stehen und blickte sich vergebens nach Ernie um. Im nächsten Moment trat eine junge Servicekraft auf sie zu, die wie das blühende Leben aussah, und Lilah fühlte sich gleich noch älter.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Lilah riss sich zusammen, zwang sich zu dem strahlenden Lächeln, das sie dreimal in Folge zur Schönheitsprinzessin von Kalamoose gemacht hatte, und fragte nach Ernie.
„Tut mir leid, ich kenne keinen Ernie.“
„Wie bitte? Sie kennen Ernie nicht … den Eigentümer dieses Lokals … Ihren Boss?“
„Oh, meinen Boss. Ja, der ist in seinem Büro“, erwiderte die Kellnerin, als eine Klingel ertönte. „Das ist meine Bestellung. Ich muss los, bin aber gleich wieder zurück.“
Sie verschwand so schnell in den hinteren Bereich, dass Lilah sie nicht bitten konnte, Ernie von ihrem Besuch zu unterrichten. Seufzend wandte sie sich um und betrachtete die Prominentenfotos an der Wand neben der Eingangstür.
Plötzlich stutzte sie und beugte sich etwas näher zu einer Aufnahme. Ja, es war das erste Bild, das sie nach Hause geschickt hatte. Es war kein Porträt, sondern der Abzug eines Fotos, das am Drehort von Attack Girls From Planet Venus entstanden war – dem einzigen Kinofilm, in dem sie jemals mitgewirkt hatte.
Der Schnappschuss zeigte sie zusammen mit mehreren anderen Möchtegern-Starlets in knappen, stellenweise ausgefransten, silberfarbenen Bikinis. Für Ernie , hatte sie unten auf das Bild geschrieben. Deine Milch-Shakes werden mir immer die liebsten sein. Lilah.
„Ich habe den Film nicht gesehen. Doch die Leute hier bezeichnen ihn als Klassiker.“
Mit wild klopfendem Herzen fuhr Lilah herum und stand Gus zum zweiten Mal an diesem Tag gegenüber. Über ihren Kopf hinweg sah er zu dem Foto, danach wieder zu ihr und zog spöttisch die
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