Die Liebe zu Rosen mit Dornen
hast.«
Er nickt einmal, fängt an, sich umzudrehen, und hält inne. »Ich kann auch nach der Schule nicht mehr kommen. Ich muss so viel für die Prüfungen lernen. Ich will es mir nicht versauen.«
Auch ich nicke nur einmal. Schweigend geht er in die Klasse.
Ich komme etwas zu spät zum Training für die Wissenschaftsolympiade, weil ich noch meinen Unterricht für den nächsten Tag vorbereiten muss. Da es nur noch zwei Wochen bis zum Wettbewerb sind, ist Mr Morton ganz aus dem Häuschen, aber ich mache mir keine Sorgen. Meine Teams sind mehr als gut vorbereitet. Die Kinder könnten diese Aufgaben im Schlaf erledigen.
Mr Morton dagegen ist überzeugt davon, dass seine Schüler alles vergessen, sobald der Druck nachlässt. Vielleicht sind seine Teams nicht gut genug vorbereitet.
Als ich in seinen Klassenraum komme, sind die Blide-Kinder drauÃen. Von Mr Morton ist nichts zu sehen, weder drinnen noch drauÃen. Meine Kinder sind fleiÃig wie die Ameisen und haben alle ihre Gerätschaften bereit. Ich kann mir gar nicht erklären, wo mein Kotrainer geblieben sein mag. Seine Tasche und die metallene Wasserflasche sind noch da.
Ich beuge mich vor und helfe einem meiner Anatomie-schüler, eine Niere zu erkennen (»Das soll wohl ein Witz sein«, sage ich), als mir von drauÃen eine vertraute Stimme ans Ohr dringt, die Stimme meiner kleinen Nichte. Ich spähe durch die offenen Fenster hinaus.
Tatsächlich, es ist Riley. Sie steht mit einem Klemmbrett in der Hand da und guckt zu. Brad reicht ihr ein MaÃband. »Das möchte ich lieber nicht machen«, wendet sie ein. »Ich bin nur hier, um zuzugucken.«
Er prustet die Empörung heraus, die ich selbst empfinde. »Wozu bist du Springer, wenn du gar nicht einspringen kannst? Was ist, wenn jemand krank wird?«
Dem kann ich mich nur anschlieÃen. »Ja, was ist, wenn jemand krank wird?« Ich trete vor. Mr Morton hat also entschieden, dass meine Meinung nicht zählt. Und meine Nichte auch. Hätte ich mir denken können. Ich bin kurz davor, alles hinzuschmeiÃen.
Riley macht groÃe Augen. »Hi, Tante Gal.«
»Miss Garner«, ermahne ich sie. Riley fummelt mit dem MaÃband herum, kriegt das metallene Ding nicht in den Griff. Brad hält ein Ende bei der Blide fest, und sie läuft mit dem MaÃband dorthin, wo das Bohnensäckchen liegt, mitten auf einem Fleck von braunem, totem Gras.
»Fünf Meter und â¦Â«, Rileys Stimme bebt. »â¦zwei Zentimeter?«
»Kannst du das Ding immer noch nicht ablesen?«, frage ich mit meiner â wie ich finde â sanftesten Stimme. Ich gehe hinüber und lese die Weite ab. »Fünf Meter, zwanzig Zentimeter.«
»Deshalb brauchst du mich ja nicht gleich anzuschreien.« Riley wendet sich ab, kaut auf ihrer Unterlippe.
»Ich habe überhaupt nicht geschrien.« Ich schaue mich um. Immer noch kein Mr Morton. »Hat jemand Mr Morton gesehen?«
Alle schütteln den Kopf, bis auf ein Mädchen aus dem Blide-Team, das mit dem Finger deutet. »Er ist da hinten hingegangen.«
Seltsam. Hinter dem Naturwissenschaftsbau ist nur ein Hang voller Gestrüpp. Ich gehe um das Gebäude herum.
Tatsächlich, da steht er, telefoniert mit seinem Handy. Ich komme zu dem Schluss, dass das Handy einen Preis für die nervigste Erfindung unserer Zeit verdient hätte. Man ist nie mehr unerreichbar. Ich will schon etwas sagen, aber er kehrt mir den Rücken zu, und was ich da höre, lässt mich erstarren.
»Ich habe dir alles gegeben«, sagt er mit lauter Stimme und aufgewühlter, als ich es je von einem Mann gehört habe, abgesehen von Shakespeare-Darstellern. »Ich will sie sehen. Ich bin ihr Vater.«
Ich weiche hinter die Ecke zurück, will nichts mehr hören. Mr Morton hat ein Kind? Wer ist die Mutter? Dara weià nichts davon. So was spricht sich schnell rum. Mit wem redet er da?
Ich frage mich, was wir über diesen Mann eigentlich wissen.
Ich gehe ins Klassenzimmer. Bald darauf kommt auch Mr Morton. Seine Haare scheinen unter Strom zu stehen, was mich kurz schmunzeln lässt, aber ansonsten merkt man ihm nichts an.
»Tut mir leid. Musste sein.« Er setzt sich an sein Pult, streicht Unterlagen glatt, die nicht glatt gestrichen werden müssen, und da erst bemerke ich seine roten Wangen. Ich beschlieÃe, ihn nicht gleich auf Riley anzusprechen.
Aber das muss ich
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