Die Liebe zu Rosen mit Dornen
ignorieren.«
Seine Betonung des Wortes »alle« lässt mich lächeln. »Aber sie gibt sich groÃe Mühe, oder?«
Er zieht die Hülle über das Gerät. »Ich habe ihr den Artikel gemailt und ihr gesagt, dass sie sich Ihren Fall noch mal ansehen soll.«
Ich stutze, überrascht. Warum sollte er das tun, nachdem ich immer so, na ja, unfreundlich zu ihm war?
»Sie haben recht. Dass ich weiter oben auf der Liste stehe als Sie, ist unfair.« Er lächelt mich schief an, verschmitzt und müde. »Das Ganze ist unfair.«
Ich weià nicht, was ich sagen soll. Mir schnürt sich die Kehle zu.
Walters fängt an zu flüstern: »Der Chefchirurg ist ein alter Freund von mir, Gal. Wir waren zusammen in der Grundschule.«
»Kein Wunder, dass alle Sie mögen«, stöhne ich.
Er schnaubt, schlägt sich auf die Schenkel. »Doch nicht deswegen. Die mögen mich, weil ich ein netter Kerl bin.«
Ich grinse.
Er sieht sich um, offenbar bereit, das Gespräch allein zu führen. »Ich mag die Leute hier, und das schlieÃt Sie mit ein, aber ehrlich: Ich bin heilfroh, wenn ich diesen Laden nie wiedersehen muss.«
Ich stütze mein Kinn in die Hand. Das habe ich mir noch nie vorgestellt. »Was meinen Sie, wie es ist, nicht mehr herkommen zu müssen?«, sage ich so leise, dass er sich vorbeugen muss. »Wenn wir uns keine Sorgen mehr machen bräuchten, wen wir allein zu Hause lassen, und wenn wir essen könnten, was wir wollen?«
Er rückt näher, neben mich. »Können Sie sich denn nicht mehr daran erinnern?«
»Es ist â¦Â«, ich knete meine Schläfen mit den Daumen, »â¦Â sehr lange her.« Ich ziehe meinen Kopf etwas zurück. »Wie lange ist es bei Ihnen her?«
Er hält sechs Finger hoch.
»Sechs Jahre? Fast so lange wie bei mir.« Einen Moment bin ich beeindruckt.
»Monate.« Er lächelt betreten.
»Monate?« Ich schüttle den Kopf.
»Wenn ich in meinem Leben irgendwas gelernt habe, Gal, dann dass man Geduld braucht.« Er schlägt die Beine übereinander. »Wenn man Geduld und Vertrauen aufbringt, kommt einem das Gute entgegen. Damals, als ich noch ein junger Mann war â¦Â«
Ich schnaube, unterbreche ihn. Hat er mir diesen Artikel nur gezeigt, um mir seine Weisheiten angedeihen lassen und eine Predigt halten zu können, während ich â das gebannte Publikum â an seinen Lippen hänge? Es ist mir egal, ob seine Geschichte mit einem Krieg oder dem Schwarzen Freitag oder der Ãlkrise Anfang der Siebziger zu tun hat. Es ist mir völlig egal. »Für wen halten Sie sich eigentlich, dass Sie mir was von Geduld erzählen? Ich habe mehr Geduld in meinem â¦Â«, ich suche etwas Kleines, »â¦Â Ohrläppchen als Sie im ganzen Leib. Ich gehe schon acht Jahre zur Dialyse, Mr Walters. Acht Jahre. Ich war mein Leben lang krank. Für wen halten Sie sich eigentlich â¦Â«, inzwischen bin ich aufgestanden, ohne es zu merken, »â¦Â dass Sie mir was von Geduld erzählen wollen?« Mittlerweile schluchze ich, manchmal kommen mir einfach die Tränen, ungewollt und nicht zu bändigen.
Er sieht mich erschrocken an, als die Schwester eilig hereinkommt, mich beim Arm nimmt und wegführt.
Nur eins muss ich noch loswerden. »Sie haben keine Ahnung«, sage ich, und meine Verbitterung hängt wie ein schwarzer Schleier in der Luft.
20
Am nächsten Morgen bin ich sehr früh zu Hause und wasche die Rosen, als Riley herauskommt. Ich war noch gar nicht drinnen, habe nur den Wagen hinter mir abgeschlossen und bin gleich ins Gewächshaus gegangen.
Die Schwester, die mich abgeholt hatte, verlor kein Wort über meine Auseinandersetzung mit Walters. Sie schloss mich wie immer an die Maschine an, deckte mich zu und fragte: »Brauchen Sie noch etwas?«
Ich schüttelte den Kopf.
Sie schloss die Tür und ging.
Gestern Abend brauchte ich sehr lange, bis ich einschlief, und als es dann endlich so weit war, schreckte ich mit schöner RegelmäÃigkeit einmal pro Stunde hoch, wie von einer unsichtbaren Macht gesteuert, und wunderte mich jedes Mal, dass ich nicht zu Hause im Bett lag.
Die Sonne ist kaum aufgegangen, leuchtet rotgelb in der Ferne. Ich hätte gar nicht gedacht, dass Riley schon wach ist. Normalerweise muss ich immer in ihr Zimmer gehen und sie wecken. Sie hat einen Wecker, so ein
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