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Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Titel: Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Setz Clemens J.
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und mit den Flügeln gegen das Papier schlägt, einhelles, feines Schaben, durch das die Zeit langsamer vergeht.
    So langsam, dass wir erst gar nicht reagierten, als es an der Tür klingelte. Erst beim zweiten Mal stand ich auf und öffnete. Jasmin war da, mit ihrem Vater.
    – Ich möchte Sie bitten, begann er. Solche Sachen … solche Themen … in Zukunft nicht mehr unangemeldet …
    Dann schien sein unter Spannung stehender Unterkiefer plötzlich aus dem Gelenk zu springen, er drehte sich um, packte seine Tochter am Arm und zerrte sie davon. Ich blieb stehen und schaute ihm nach. Als er an seiner Haustür war, drehte er sich noch einmal um, sah, dass ich ihn beobachtete, und zog den Kopf ein, als stünde er in einem Hagelgewitter.
6
    Neulich träumte ich vom Jenseits. Es ist eine Stadt. Ein paar Gärten gibt es, aber der größte Teil ist dicht bebaut. Teils sind es primitive Hütten, teils prächtige Villen, auch gläserne Bauten sind darunter, in denen winzig kleine Gestalten herumschwirren. Wenn man das Jenseits betritt, ist das Erste, was einem auffällt, der angenehme Geruch. Frisch geschnittenes Holz, vermischt mit kalter Meeresluft. Wind gibt es überhaupt keinen, nicht einmal, wenn man seine Backen aufbläht und die Luft so fest ausstößt, wie man kann. Die Luft bleibt immer unbewegt. Berührungen kommen praktisch nicht vor. Sie sind im Allgemeinen auch nicht nötig.
    Obwohl der Traum völlig ereignislos war, hatte ichbeim Aufwachen Todesangst. Ich suchte Schutz bei Sarah, wie in den Zeiten unserer Ehe. Aber sie wusste mit diesem alten Verhaltensmuster nichts mehr anzufangen, wehrte mich irritiert ab und murmelte im Halbschlaf obszöne Dinge. Ich wollte ihr erzählen, wovon ich geträumt hatte. Sie hörte eine Weile zu, dann stand sie plötzlich auf und holte den Elektroschocker.
    Die Schmerzen waren entsetzlich.
    Diese neu entdeckte Grenze in unserer Beziehung entmutigte mich, aber ich war jetzt auch gefasst auf weitere Offenbarungen dieser Natur. Die Momente, in denen das aufgeladene Vokabular und das tabulose Verhalten plötzlich nichts mehr ausrichten konnten und nur noch wie eine feuchte Kletterwand waren, von der wir ständig abrutschten, hatte es immer gegeben. Aber sie waren immer gleich wieder vorbeigegangen, wie kleine schwarze Löcher in einem Teilchenbeschleuniger, die schon im Augenblick ihrer Entstehung zu reiner Energie zerstrahlen.
    Mit Herrn Beichel wurde es unterdessen immer schlimmer. Er schrie nächtelang auf seine Tochter ein. Manchmal sperrte er sie auf den Balkon und ließ sie dort über eine Stunde stehen. Sie unternahm nichts, kletterte nicht hinunter auf das Garagendach, stürzte sich auch nicht in die Tiefe. Sie blieb einfach stehen, schaute in den dunklen Garten und wartete, bis er sie wieder ins Zimmer ließ. Ihr stoischer Gleichmut erregte uns so sehr, dass wir manchmal die Kontrolle verloren.
    Ich hatte Sarah vor lauter Aufregung ein blaues Auge geschlagen und ihr eine Zehe an ihrem linken Fuß gebrochen. Sie war mir deswegen nicht böse, lobte michsogar für meine Aufrichtigkeit, aber ihr Humpeln und ihr schmerzverzerrtes Gesicht erinnerten mich daran, dass ich mich in Zukunft beherrschen musste, wenn ich kein größeres Unglück riskieren wollte. Freiheit war etwas Kostbares, man durfte sie nicht mit sinnloser Gewalt verwechseln.
    Im Gegenzug für meinen Angriff auf sie hatte Sarah mir Abführmittel in den Tee gemischt und die Badezimmertür im oberen Stock verriegelt. Ich schaffte es zwar, die Tür einzutreten, aber es war schon zu spät. Ich stieg in die Badewanne und zog unter dem Strahl der Dusche meine bis hinunter zu den Füßen besudelte Hose aus.
    Wütend über den Streich, den Sarah mir gespielt hatte, ging ich alleine spazieren. Ich hoffte, Jasmin zu treffen, aber der zornige Gott des Alten Testaments ließ es nicht zu. Ich traf niemanden. Also lag es ganz in meiner Hand, etwas zu unternehmen.
    Das Klingelschild von Herrn Beichels Haus sah aus wie eine abgekaute Daumenkuppe. Es kostete mich einige Überwindung, es zu berühren.
    – Du bist der Teufel, sagte Sarah, nachdem ich ihr erzählt hatte, was ich zu Herrn Beichel gesagt hatte. Du bist der Teufel! Hahaha!
    Sie umarmte mich.
    – Er hat überhaupt nichts mehr sagen können. Er hat nicht einmal dann reagiert, als ich mein Handy herausgenommen und ihn fotografiert habe.
    – Zeig her!
    Das Bild war unscharf, aber man konnte Herrn Beichels geisteskranken Gesichtsausdruck deutlich erkennen. Ich hatte meine

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