Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes
beunruhigende Weise fröhlich, fast so, als könnte er gar nicht fassen, dass alles glattgegangen ist. Als hätte er fest mit größeren Schwierigkeiten oder Demütigungen gerechnet.
– Ja.
– Ich studiere noch.
– Was studierst du?
– Ach, schon ewig lang. Physik und Chemie.
– Physik. Und Chemie, wiederholt Agathe beeindruckt und wischt sich die Hände an der Schürze ab.
Es ist eine Gratwanderung, sie muss sich konzentrieren, dass ihr die Gesten nicht zu deutlich, zu klischeehaft geraten. Aber Philipp scheint auf solche Dinge nicht zu achten.
– Ja, du warst immer schon begabt in technischen Dingen, sagt sie.
– Na ja, sagt Philipp. Ich bin mir trotzdem nicht sicher, ob das wirklich das Richtige für mich ist. Und das Studium ist auch eher stressig.
– So?
– Diese ganzen Fristen, die man einhalten muss. Und andauernd wird irgendwas geändert und ist dann plötzlich nicht mehr anrechenbar, und man muss ins Dekanat und mit den Idioten da streiten. Stressig.
– Aber du bist bald fertig?
– Gott sei Dank, ja. Ein Jahr noch oder so.
Die Omeletts sind Agathe gut gelungen. Genau dasrichtige Goldgelb, das den Appetit anregt. Philipp isst mit geschlossenen Augen. Er macht das alles zum ersten Mal, vermutet Agathe, er weiß noch nicht, wie er sich verhalten soll.
– Wird ja auch langsam Zeit, dass du mit dem Studium endlich fertig wirst, sagt Agathe streng.
Philipp macht die Augen auf und schaut sie entgeistert an. Dann lächelt er, nimmt den Pfefferstreuer und schüttelt ihn über seinem fast leeren Teller.
– Iss auf, ermahnt sie ihn. Du bist viel zu dünn.
Er blickt an sich herunter.
– Oder willst du irgendwann so aussehen wie all diese Verlierer, diese wandelnden Baumskelette, die ihr ganzes Geld nur für Bücher ausgeben?
Nach dem Essen räumt sie ein bisschen in seiner Wohnung auf. Überall liegt Staub, und sie hält ihm seine Faulheit vor. Sie weiß, dass das stetige, gutmütig dahinplätschernde Gemecker auf junge Männer beruhigend wirkt. Sie hebt Socken vom Boden auf – dabei bückt sie sich langsam und mühsam, sodass in einer einzigen Bewegung so viel Schuldzuweisung steckt, dass Philipp sich abwendet. Sie stopft seine schmutzige Wäsche, die überall auf Stühlen und auf dem Bett verstreut liegt, in die Waschmaschine und erklärt ihm, wie viel Waschpulver er nehmen muss, damit seine Kleider zwar sauber werden, aber nicht so penetrant nach Chemie riechen. Nachdem sie ein wenig Ordnung gemacht hat, setzt sie sich vor den Fernseher.
Auf einem kleinen Tisch entdeckt sie eine Fernsehzeitung, sie blättert sie auf und beginnt, mit einem Leuchtstift(den ihr Irma vor einem Monat geschenkt hat) verschiedene Fernsehsendungen zu unterstreichen.
– Komm, setz dich neben mich, sagt sie.
Philipp gehorcht ihr.
– Und? Hast du eine Freundin?
– Ich?
Philipp muss lachen. Agathe schiebt sich ihre Lesebrille auf die Stirn und sieht ihn an, als wollte sie sagen: Ich habe ein Recht, das zu erfahren. Aber der Blick gelingt ihr nicht richtig. Philipp erschrickt vor ihr und wird plötzlich ernst.
– Nein, momentan nicht, sagt er zu seinen Knien. Sie ist ausgezogen … vor drei Wochen.
– Sie war ohnehin weit unter deinem Niveau.
– Oh, na ja. Nein. Nein.
– Doch. Sie war nicht die Richtige für dich. Viel zu anspruchsvoll.
– Hm.
Philipps Gesicht ist starr geworden. Er ist aus der Szene gefallen, ärgert sich vermutlich über ihre gutgemeinten Schüsse ins Blaue. Agathe weiß, dass sie sich ein wenig zu weit vorgewagt hat. Aber es ist schwierig, sich zu bremsen, wenn man merkt, dass man auf dem richtigen Weg ist. Sie wechselt das Thema und fragt ihn ein wenig über seine Zukunftspläne aus. Wo sieht er sich in fünf Jahren? Worüber wird er seine Abschlussarbeit schreiben? Wann, glaubt er, wird er ihr endlich das lang erwartete Enkelkind schenken? Philipp reagiert auf alle Fragen höflich, aber hin und wieder sieht er auf die Uhr. Agathe weiß, dass sie ihn jetzt etwas härter anpacken muss, um ihn nicht zu verlieren.
– Hörst du mir überhaupt zu? He, Philipp, ich rede mit dir!
– Ja doch, sagt er und steht vom Sofa auf.
– Setz dich wieder hin. Da besuche ich dich einmal für einen einzigen Tag, und du hast nur einsilbige Kommentare für mich. Tut mir ja leid, dass dein Leben so uninteressant ist. Tut mir ja leid, dass du nichts zu erzählen hast. Aber daran bin nicht ich schuld. Ich hab dich nicht dazu erzogen.
Philipp setzt sich. Er wirkt verloren.
– Bist du mir
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