Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes
schreibt, komponiert, programmiert wie ein Marsbewohner, der zwei Semester auf der Erde Menschheit studiert hat, sich dann nach Hause begeben hat und nun feststellen muss, dass seine Mitschriften unlesbar und seine Erinnerungen an bestimmte Gepflogenheiten auf dem dritten Sonnenplaneten sehr lückenhaft sind. Nichtsdestotrotz aber setzt er sich an seinen Mars-Schreibtisch und beginnt mit der Niederschrift eines umfangreichen Referats. Das, was er nicht mehr weiß, füllt er durch eigene Spekulationen. Nebenbei trinkt und raucht er zu viel und hängt traurigen Liebesaffären mit Erdenfrauen nach. Wir, seine Fans, seine Community, sind das fassungslose Auditorium, das nur ein Autor dieses Ranges verdient.
Von manchen traditionellen Kunstkritikern – darunter auch von Konrad Lauffer selbst – wurde immer wieder hervorgehoben, wie primitiv die grafische Benutzeroberfläche von Figures in a Landscape in Wahrheit sei. Und in der Tat sind die verschiedenen Elemente, die man mit der Mouse bewegen oder anklicken kann, kein besonderes Fest für die Sinne. Die meisten Bilder im Spiel sind einfache eingescannte Fotografien, die in einem Bildbearbeitungsprogramm verändert wurden.
Homegrown – so lautete der Begriff, mit dem progressive Stimmen diesen Einwand zu entkräften versuchten. Sofort wurden andere Beispiele für diese Art von Kunst geliefert. 14 Es handle sich nun einmal um einselbstgebasteltes Spiel, Marc David Regan habe schließlich zwei Jahre lang ganz allein an dem Spiel gearbeitet, er habe alles selbst digitalisiert, abfotografiert, entworfen.
Das ist , schrieb ein Kritiker in einem Online-Kunstforum, eine unvorstellbare, an reiner Schreibarbeit beinahe schon Mozart’sche Leistung.
Auf YouTube findet man einen Videoclip von Regans einzigem Fernsehinterview, der betitelt ist mit: MARC DAVID REGAN INTERVIEW 2008 (RARE!!). Die Qualität ist nicht gerade überwältigend. Man sieht den Künstler auf einem gepolsterten Sessel sitzen, neben ihm ein glatzköpfiger Mann mit einem Mikrophon. Das Interview wurde bei einer Videospiel-Messe in Amsterdam aufgezeichnet. Regan war dorthin eingeladen worden, um eine kleine Rede zu halten und einen Preis für Figures in a Landscape entgegenzunehmen. Auf beides verzichtete er, aber er kam als Besucher auf die Messe.
INTERVIEWER (mit holländischem Akzent): So, I guess, one could say that … you’re really famous here.
REGAN : Yeah, weird, innit?
INTERVIEWER : So … tell me, what games influenced you when you were writing Figures ?
REGAN : Well … Doom , obviously. That beautiful concept of the pseudo-3D engine … and of course, it sort of represented … for me at least … a certain way of thinking. The character is completely alone in this world and … Well, it’s sort of like the, ah … it’s like this song by … that bloke … ah … Lorenz Hart, yeah, that song about being asleep … 15
Wie dieser Ausschnitt besonders deutlich zeigt, scheute Regan nicht davor zurück, traditionell eher als kunstfern geltende Dinge wie Computerspiele oder Musical-Schlager auf eine radikal existenzielle Weise zu deuten. 16 In seinen Tagebüchern stößt man immer wieder auf faszinierende Beschreibungen seiner Erfahrungen mit verschiedenen Computerspiel-Klassikern.An mehreren Stellen vergleicht er sie mit Meisterwerken des frühen Films (Méliès, Murnau, Lang), deren Charme und Zauber vor allem auf den damals sehr limitierten technischen Mitteln beruht, die heute, da sie längst überwunden sind, noch stärker in ihrer ganzen Merkwürdigkeit aufleuchten. In der Tat ist die Frage Was bedeuten Computerspiele für die Generation, die damit aufgewachsen ist? eng verknüpft mit ihren technischen Voraussetzungen: Sie waren zweidimensional, umständlich, aber dadurch auch elementar. Für Regan waren Spiele wie Tetris, Super Mario, Sokoban oder das schon etwas komplexere Doom eine vollkommen neue Art von Kunst, in der sich Tausende von Kindern und Jugendlichen verlieren konnten. Hierzu ein bemerkenswerter Tagebucheintrag aus dem Jahr 2005 über Tetris :
Wie viele andere bin ich damit aufgewachsen, mit den manchmal grauen, manchmal bunten Spielsteinen, von denen einige die Form kleiner Quadrate oder langer Stäbe besitzen, manche erinnern auch an den Zug eines Springers beim Schach. Sie fallen von oben in einen Behälter, der Gott weiß was darstellen soll, vielleicht einen leeren Platz zwischen zwei hohen Gebäuden, vielleicht einen Silo, vielleicht ein Fenster, das auf eine
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