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Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Titel: Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Setz Clemens J.
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hatte Frau Nusch gesorgt, indem sie ihm von der Bierflasche erzählt hatte. Warum hatte sie das getan? Was bedeutete ihr dieser Mitarbeiter?
    Sofort korrigierte sich Anton. Es war gemein und überheblich, so zu denken. Er musste Mitleid mit Franz Lukas haben, immerhin war er von mehreren seiner Kollegen aufs Grausamste gequält worden. Aber warum hatten sie die Flasche im Eingangsbereich stehen lassen? Als Mahnmal? Aus Boshaftigkeit?
    – Wer war dabei?, fragte er seine Sekretärin.
    Sie zuckte die Achseln.
    – Ist schon in Ordnung, versicherte er ihr. Ich weiß es nicht von Ihnen. Sie waren nie bei mir.
    Sie sah sich unsicher in seinem Büro um, wie um zu prüfen, ob der Raum Hinweise auf die Aufrichtigkeit dieser Aussage enthielt. Schließlich schlug sie die Augen nieder und nannte ein paar Namen.
    – Altenberger, Renner … der Täubner … und es könnte sein, dass auch der Graf dabei war.
    – Florian Graf?
    Sie nickte.
    – Aber bei dem sind Sie sich nicht sicher?
    – Es könnte sein. Sicher bin ich mir nicht, aber …
    – Gut, ich bedanke mich, dass Sie mir das anvertraut haben. Ich werde sehen, was in dieser Hinsicht zu … zu unternehmen ist in … in dieser Hinsicht.
    Über den Computerbildschirm tanzte ein roter Schriftzug, der Name seiner Firma: Crillaco . Ein erfundenes Wort, das nichts bedeutete. Zuerst hatte er ein paar andere, wie er fand, sehr energiegeladene Silbenkombinationen ausprobiert, aber eine Google-Suche ergab, dass diese von ihm erfundenen Wörter in irgendeiner anderen Sprache immer etwas bedeuteten.
    Der Appetit war ihm vergangen. Seine Finger warenfettig von den Lachsstücken, die ständig aus dem Sandwich fielen. Seine Armbanduhr klebte an seinem schwitzenden Handgelenk. Wenn die Tür seines Büros offen stand, konnte er auf den Gang hinaussehen, wo selten etwas Interessantes vor sich ging. Dort war es geschehen, der Überfall, die Bierflasche. Es war ungeheuerlich, dass sie noch immer neben der Eingangstür stand. Niemand hatte sie weggeworfen, vermutlich weil sich alle vor ihr ekelten. Und Anton wusste: Er selbst würde sie auch nicht mit bloßen Fingern anfassen.
    Franz Lukas war ein verschlossener, schweigsamer Mann, der gute Arbeit lieferte. Anton war bisher immer sehr zufrieden mit ihm gewesen. Er musste die ganze Zeit an das schreckliche Detail mit der Bierflasche denken. Das Sandwich rührte er nicht mehr an, obwohl er hungrig war. Er ging auf den Gang und schaute in den großen Raum, wo seine Angestellten saßen oder standen. Er sah den Rücken von Florian Graf. Er kehrte in sein Büro zurück, bemerkte, dass das Bild über seinem Schreibtisch (eine Radierung von Piranesi mit dem Titel Das Sägepferd ) schief hing, tippte den Rahmen mit dem Zeigefinger an und korrigierte die Symmetrie. Dann ging er aufs Klo, setzte sich hin und stützte das Kinn auf die Faust. Das braun durchscheinende Glas einer Bierflasche. Er stellte sich den Gestank vor und die ungeheure Erniedrigung, die Franz Lukas wenige Meter entfernt, auf dem Korridor, hatte erdulden müssen, gestern Nacht. Es würgte ihn. Er hatte Schwierigkeiten, sich mit dem Klopapier sauber zu machen. Und als er spülte, vermied er es, in die Kloschüssel zu sehen.
    Heute Morgen war Lukas ganz normal zur Arbeit gekommen und hatte still und leise zwischen seinen PeinigernPlatz genommen. Warum war er nicht mit einer Axt auf sie losgegangen, auf Altenberger, Täubner, Graf … und wer war noch dabei gewesen? Er konnte sich nicht erinnern.
    Er nahm ein Stück Klopapier von der Rolle und entsorgte damit die Bierflasche. Altenberger sah ihn, wie er die Bierflasche, eingewickelt in das Papier, über den Gang trug, und machte ein amüsiert fragendes Gesicht. Anton blickte ihn wütend an, und Altenberger lief rot an. Anton betrachtete das als ein Schuldeingeständnis.
2
    Die Idee, er müsse dem Neuen helfen, war Anton beim Rasieren gekommen. Sein eigenes Gesicht im Spiegel zu sehen, wie es das Kinn vorstreckte und verlangsamte, unwitzige Grimassen vorsichtiger Konzentration schnitt, während der Rasierer die bleistiftgrauen Bartstoppel ausradierte, brachte ihn immer auf versöhnliche und fürsorgliche Gedanken.
    Es war doch eigentlich nicht zu fassen, dachte er, dass ein derart schlimmer Fall von Mobbing und repressiver Gruppendynamik direkt vor seinen Augen passierte, ohne dass er dessen Tragweite bisher wahrgenommen hatte. Es war beinahe peinlich. Er musste unbedingt etwas unternehmen, damit Franz Lukas von seinen Arbeitskollegen ein

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