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Die Lieben meiner Mutter

Die Lieben meiner Mutter

Titel: Die Lieben meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schneider
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Methoden durchgesetzt. Üblich waren je nach Schwere des Vergehens abgezählte Schläge (Tatzen) mit dem Rohrstock auf die Hand, im Zweifelsfall auch auf dennackten Po und in die Kniekehlen. Der gefürchtetste Schläger war der Schuldirektor. Aber auch die Lehrerinnen schlugen kräftig zu.
    Ich war ein unheilbarer Linkshänder. Ich warf und kickte Bälle mit links, schrieb und verteidigte mich mit links, fiel beim Stürzen immer auf die linke Hand – selbst den Geigenbogen hatte ich zuerst in die linke Hand genommen und die Geige in die rechte. Jedes Mal, wenn die Lehrerin den Stift in meiner linken Hand entdeckte, schlug sie ihn mir – manchmal von hinten – mit ihrem Stock aus den Fingern und verabreichte mir genau abgezählte Schläge auf die ausgestreckte Frevelhand. Wer die Hand vor dem Schlag wegzog, hatte unter dem Spott der Mitschüler eine weitere Runde von Schlägen zu gewärtigen.
    Im ersten Schuljahr wurde ich auf dem Nachhauseweg von einer Kinderbande abgepasst. Dös iss a, rief der Anführer, ein dicker Bauernbursche mit erschreckend großen Nasenlöchern. Wie hoasst du, wo kummst her? Wenn ich dann meinen Namen und meine Geburtsstadt Lübeck nannte, setzte es die erste Watschen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass der Grund dieser Nachstellungen mein hochdeutscher Akzent war. Kunnst koa Bayrisch? Noa, worum nit? – und wieder patsch.
    Heimlich hatte ich Jodeln und auch Schuhplatteln geübt, war aber nie bereit, meinen Feinden in ihrem gutturalen Bergidiom zu antworten. Ich mochte den Dialekt nicht – vielleicht, weil meine Mutter ihn nicht mochte.
    Obwohl ich chancenlos war, stellte ich mich dem Kampf. Regelmäßig landete ich unter dem Gejohle der Bande im Dreck. Der Anführer mit den großen Nasenlöchern legte sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich und nahm meinen Kopf in den Schwitzkasten, bis ich nicht mehr japsen konnte. Erst wenn mein Gesicht blau anlief, ließ er von mir ab. Dann stand ich auf, wischte mir den Dreck und das Nasenblut aus dem Gesicht, holte tief Atem und forderte meinen Gegner zu einer weiteren Runde auf. Hoast noch nit gnug?
    Meine Bereitschaft zu einer neuen, unvermeidlichen Niederlage nötigte der Bande eine gewisse Achtung ab.
    Nachdem ich ein paar Monate lang verdroschen worden war, änderte ich meine Taktik. So viel war klar: Mit gleichen Waffen konnte ich in diesem Kampf nichts ausrichten. Als das überernährte Kindermonster wieder einmal auf mich zustürmte, griff ich nach dem Lineal, das senkrecht aus meinem Schulranzen herausstach, und zog es mit der scharfen Kante durch sein Gesicht. Und wenn ich ihm ein Auge ausgestochen hätte – in diesem Augenblick wäre es mir recht gewesen.
    Ungläubig fasste sich der Getroffene ins Gesicht und starrte auf das Blut, das durch seine Finger tropfte. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass es sein Blut war, nicht meines. Nach den Regeln eines fairen Kampfes unter Schülern hatte ich verloren – ich hatte eine unerlaubte Waffe in den Kampf eingeführt. Aber mein Übergriffhielt die Bande fortan auf Abstand. Ich hatte gezeigt, dass ich gefährlich werden konnte. Ich galt als unberechenbar und hatte Ruhe.
    Vergeblich suche ich in meinem Gedächtnis nach den Namen und Gesichtern der Mitschüler, mit denen ich vier Jahre meines Lebens geteilt habe. War es das Dunkle, das Abweisende, das Feindliche, das ich mit Grainau verband, das mir den Zugang zu ihnen versperrte?
    Das einzige Gesicht, das sich mir eingeprägt hat, gehörte einem zarten Flüchtlingskind namens Schaudin-Liesl. Nach der Schule begleitete ich sie auf ihrem weiten Heimweg bis nach Hammersbach. Mit ihrer Erlaubnis trug ich ihren Schulranzen. Wenn wir vor ihrem Haus angelangt waren, verabschiedete ich mich nach Ritterart. Ich ließ mich vor meiner Dame auf ein Knie herunter, wartete auf die kleine weiße Hand, die sie mir reichte, und drückte einen gehauchten Kuss darauf. Mit derselben Hand nahm sie mir ihren Schulranzen ab und öffnete das Gartentor, ohne mir das Gesicht mit den blonden Zöpfen noch einmal zuzuwenden.

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    Ein paar Jahre, bevor ich mich entschloss, dieses Buch zu schreiben, hatte eine Klassenkameradin Kontakt mit mir aufgenommen. Wir hatten uns getroffen und erstaunt festgestellt, dass wir einander keineswegs so wildfremd waren, wie wir angenommen hatten. Noch als junge Frau, als meine Familie längst aus Grainau weggezogen war, hatte sie in dem Dorf gewohnt und konnte mir Namen und Adressen von

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