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Die Lieben meiner Mutter

Die Lieben meiner Mutter

Titel: Die Lieben meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schneider
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Federn und schläft. Vor allem bin ich ja hilflos, ich hab mir die »Saufabende« verboten, doch was tut’s, die machen weiter.
    Trotz dieser Lage versucht sie immer wieder, ihrem Mann Bilder von einer intakten glücklichen Familie vor die Augen zu stellen. Sie erzählt ihm von der Freude,die es ihr mache, ihre Kinder herauszuputzen wie die blanken Ostereier, und wie die Kinder ihr diese Mühe dann durch ihr bezauberndes Aussehen dankten. Besonders einer würde jetzt nicht von ihrer Seite weichen, weil er offenbar ein besonders starkes Verlangen nach Zärtlichkeit habe. Und ihr ihre Aufmerksamkeiten dann durch seine gute Laune lohne; den ganzen Tag juchze, pfeife und singe er, alles sei Musik und habe dabei doch schon den Zauber des Gestalteten, des Umgesetzten. Er ist schon meine sehr große Liebe, sagt sie über den Sohn, der Jahrzehnte später ihre Briefe liest.
    Es ist ein Idyll, das sie Heinrich ausmalt, eine heile, durch nichts beschädigte Familie.
    Inzwischen hat ihre Freundin Linda zu ihr und in das Haus in Grainau zurückgefunden. Lindas Versuche, den ewig unentschlossenen Andreas an die Hand zu nehmen und mit ihm ein neues Leben zu beginnen, haben sich ebenso zerschlagen wie die Träume der Mutter. Linda zeigt ihr den Abschiedsbrief, den Andreas ihr geschickt hat. Der Brief erinnert die Mutter schmerzhaft an die Trennung, die sie selbst ein halbes Jahr zuvor zu verwinden hatte. Aber ganz kann sie ihr Befremden über Lindas Gefasstheit nicht verbergen. Sie beneidet sie um die Fähigkeit, ihr Gefühl je nach den Umständen an- und auszuschalten. Und rechnet es sich als Verdienst an, dass sie ihre Freundin dazu gebracht hat, Andreas endlich klipp und klar mit ihren Erwartungen zu konfrontieren. Immerhin hat sie ihn damit zu einer ehrlichen Antwort gezwungen. Das Resultat war der Abschied –aber besser jetzt, als noch mehr Jahre mit falschen Hoffnungen zu vergeuden.
    In der Trauer um den gemeinsamen Geliebten und der Abrechnung mit ihm finden die beiden bis eben noch zerstrittenen »Witwen« wieder zueinander. Sie verständigen sich über ihre Enttäuschungen und Illusionen und kommen überein, dass in Wahrheit Andreas der große Verlierer ist. Haben sie nicht beide die Schmerzen, die er ihnen bereitet hat, immer wieder mit ihrer Liebe zugedeckt und ihm so – zu seinem Schaden – die Auseinandersetzung mit seiner Unfähigkeit zu lieben erspart? Ihm seine Schuldgefühle abgenommen? Die Mutter weiht Linda in ihre Briefe an Andreas ein, zitiert ihre Befürchtungen, Andreas werde Linda ebenso fallen lassen wie sie selbst. Hatte sie Andreas nicht vorausgesagt:
    Eines Tages brechen Brücken, die in den luftleeren Raum gehen, zusammen. Hoffentlich begreifst du, daß ich nicht mehr für mich spreche!
    Gemeinsam machen sie sich Sorgen über Andreas’ künstlerische Nicht-Entwicklung und über seine Abhängigkeit von äußeren Erfolgen; über seinen Mangel an echten Freunden, der ihm jede Selbsterkenntnis und Selbstkritik schwer mache; über seine halbherzige Einsicht in seine Grenzen, die jedoch nur dazu führe, dass er sich verschließe, statt sich für Neues zu öffnen. Sollten sie nicht beide zu dem Theaterpapst fahren und ihm ihre Erkenntnisse mitteilen, da sie ihn doch besser kennen als seine Sklaven an der Oper?
    Inzwischenhat die Mutter einen neuen Geliebten. Gerhard, ein Kollege Heinrichs von der Oper in Hannover, hat sich für ein verlängertes Wochenende in Grainau einquartiert und ist ihr auf einem langen Spaziergang auf dem Höhenrain nähergekommen. Eine heftige, konfliktreiche Affäre nimmt ihren Lauf. Die Mutter öffnet Gerhard ihr Herz und gesteht ihm, dass er ein ganz neues Verlangen in ihr geweckt hat. Bisher hatte ihr das Schicksal stets die Rolle zugewiesen, die Bestimmende, die Klügere zu sein. In dem Wissen um ihre größere Fähigkeit, zu begreifen , hatte sie die daraus folgende Last der Verantwortung immer auf sich genommen. Aber der andere Teil ihres Wesens, das Kind in ihr, das bestimmt werden und sich hingeben will, war dabei zu kurz gekommen. Ist es verwunderlich, dass sie – wie ein reifes Blatt dem Wind – einem Menschen zufällt, dem sie sich unterstellen kann, weil er ihr durch seine ganze Art die Last ihrer Verantwortung abnimmt? Ist ihr unwillkürliches Verlangen, sich ihm zu unterwerfen, ja vor ihm zu knien, so abseitig, muss man es gar, wie Gerhard es tut, als dämonisch bezeichnen, wenn durch eine solche beglückende Begegnung ein totales Gefühl aufspringt und alle Dämme

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