Die lieben Patienten!
überrascht. Mit »sonst« meinte ich die Gicht, an der er schon seit über dreißig Jahren litt. »Ich finde sogar, Sie sind in besonders guter Form. Achtundachtzig, nicht wahr?« sagte ich nach einem Blick auf das Geburtsdatum seiner Karteikarte.
»Bald neunundachtzig.«
»Niemand würde das glauben. Warum fragen Sie?«
»Nun, Doktor, es ist deshalb.« Er fuhr in seine Jacke und setzte sich wieder. »Ich bin jetzt eine halbe Stunde hier drin.«
»Ja, und?«
»Nun, ich bitte um Entschuldigung, Doktor, wenn ich mir Sorgen mache. Meistens geht es doch: »Guten Morgen, Mr. Lambert, wie geht’s? Immer noch auf den Beinen? Das ist gut! Hier ist Ihre Arznei; kommen Sie in einer Woche wieder. Auf Wiedersehens«
Das war eine sehr gute Imitation meiner selbst, meines alten Ichs.
»Sehen Sie, Doktor, deshalb bekam ich es mit der Angst, als Sie mir sagten, ich solle mich ausziehen und mich hinlegen. Ist wirklich nichts zu befürchten?«
»Überhaupt nichts.«
»Sie würden es mir doch sagen, nicht wahr? Meinen Nachbarn hat man gerade mit seinen Nieren fortgebracht.«
Ich beruhigte den alten Mann, so gut ich konnte, aber er verließ mich weniger glücklich aussehend als bei all seinen wöchentlichen Besuchen während der vergangenen acht Jahre.
Mr. Lambert hatte mir einiges klarwerden lassen, und Mrs. Sage schlug in dieselbe Kerbe. Es geschah, als ich nach ihrem kleinen Mädchen sah. Patricia hatte Mandelentzündung und Ohrenschmerzen. Ich untersuchte sie, verschrieb ihr etwas und war schon auf dem Weg nach unten, als Mrs. Sage meinte: »Ich weiß, daß es zwecklos ist, Ihnen eine Tasse Tee anzubieten, Doktor«, und mir die Haustür aufhielt. Ich ging jedoch nicht und fragte: »Warum?«
Mrs. Sage blickte mich verwirrt an. »Ach, das haben wir doch alle schon seit Jahren aufgegeben. Als Sie damit aufhörten, Ihren Mantel auszuziehen.«
Jetzt war es an mir, sie verwirrt anzusehen. »Alle?«
»Jeder hier in der Straße. Die meisten von uns haben natürlich Verständnis dafür, daß Sie jetzt so beschäftigt sind.«
»Und die anderen?«
»Nun, Sie wissen doch, wie das ist, Doktor. Manche Leute können sich nicht an diesen Gesundheitsdienst-Betrieb gewöhnen und meinen, es müßte noch so wie zu alten Zeiten sein.«
»Sie meinen, Leute wie Mrs. Walker und die Southcotts?« Zwei Familien, die sich aus meiner Liste hatten streichen lassen.
»Sie konnten es nicht ertragen, daß sie den Gartenweg entlang rannten. Es machte sie nervös.«
»Tue ich denn das?« Es war mir noch gar nicht bewußt geworden.
»Den Weg entlang rennen, zwei Stufen auf einmal nehmen, Arzneivorschriften, während Sie schon wieder hinauslaufen. Manchmal dachte ich, ich hätte mir Ihren Besuch nur eingebildet, wenn ich nicht das Rezept in der Hand gehabt hätte.«
Ich blickte sie an. »Das ist sehr interessant«, sagte ich. »Ab heute laufe ich nicht mehr, ich habe jetzt einen Assistenten, der mir hilft.«
»Das freut mich, Doktor. Ich bin sicher, daß es nicht gut für Sie war, so herumzurasen.«
»Wenn Sie mir wirklich eine Tasse Tee anbieten wollen?«
»Natürlich. Ich wollte gerade eine trinken.«
»Dann werde ich Ihnen Gesellschaft dabei leisten.«
»Da freue ich mich aber wirklich. Keiner wird mir das glauben.« Sie schloß die Türe wieder und streckte die Hände aus. »Wollen Sie nicht Ihren Mantel ablegen?«
Am Ende der Woche hatten sich die Dinge an allen Fronten gebessert. Die Praxis lief wie am Schnürchen, alle Kranken waren wieder auf den Beinen, und außerdem hatten wir Maria durch die freundliche Vermittlung von Mrs. Hampton. Maria war alles, was Miss Wiederkehr nicht gewesen war. Sie war ein nett aussehendes kleines Ding, das flink wie ein Vogel herumflog. Ihr Zimmer fand sie bezaubernd, und, was das Wunderbarste an allem war, sie liebte Kinder und Hunde. Belly brachte alle mütterlichen Instinkte, die, wie man mir erzählte, in einer italienischen Brust schlummern, übermächtig zum Ausbruch. Zusammen mit den Zwillingen bildeten Belly und Maria eine Viererallianz, die in ihrer Loyalität untereinander unerschütterlich war. Wenn Belly sich schlecht benahm, entschuldigte man ihn wegen seiner Jugend; wenn die Zwillinge eine Rakete, die aus einer Cornflakedose bestand, durch das Fenster meines Sprechzimmers schossen, wurden sie an Marias Busen gedrückt, und diesem rührenden Bild und ihren um Gnade flehenden großen, braunen Augen, die voller Tränen standen, war nicht zu widerstehen; und als Maria die Soßenschüssel
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