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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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sie auf die Wange.
    Sie öffnete die Augen. Sein Gesicht war ganz nah. Hatte sie ihn wirklich gerade gehört oder hatte sie es nur geträumt? Sie hatte schon so oft nachts davon geträumt, dass er ihr sagte, er liebe sie, sie hatte sich nach diesen Worten gesehnt... Tatiana erhob sich mühsam. Alexander konnte sie nicht auf dem Rücken die vereiste Treppe hochtragen, aber er legte den Arm um sie und gemeinsam schafften sie es bis in den dritten Stock. Vor der Tür zu ihrer Wohnung blieb Tatiana stehen. »Geh hinein«, sagte sie. »Ich warte hier. Geh und sieh nach, ob sie ...« Sie konnte den Satz nicht beenden. Alexander schob sie in den Flur und ging dann durch bis ins Schlafzimmer. »Tania«, hörte sie kurz darauf seine Stimme, »komm herein. Dascha geht es gut.«
    Tatiana ging ins Zimmer und kniete sich neben Dascha ans Bett. »Dascha«, sagte sie, »sieh mal, er hat uns zu essen gebracht.«
    Dascha, deren Augen riesig und leer waren, bewegte stumm die Lippen.
    »Ich muss wieder zurück«, sagte Alexander. »Geh morgen ganz früh das Brot holen. Bis dahin habt ihr genug. Habt ihr eigentlich schon die Gerste aufgegessen?« Er küsste Dascha auf die Stirn. »Morgen bringe ich euch noch mehr.« Dascha hob den Arm. »Bleib hier«, sagte sie. »Das geht nicht. Iss etwas, dann wirst du dich besser fühlen. Ich komme dich bald besuchen. Tania, brauchst du Hilfe? Kannst du aufstehen?« »Ja«, erwiderte sie.
    »Na, komm her«, sagte er und legte die Hände unter ihre Arme. »Komm hoch.«
    Er zog sie hoch. Sie hätte ihn gern angesehen, aber sie wusste, dass Dascha sie beobachtete. »Danke, Sh... Alexander.«

    Sie lagen halb bewusstlos unter ihren Decken. Nachts wachte Tatiana plötzlich auf, weil es klopfte. Mühsam stieg sie aus dem Bett und ging durch den dunklen Flur zur Tür. Alexander stand da, er trug seine weiße Kampfuniform und auf dem Kopf eine gesteppte Mütze. In den Händen hielt er eine Decke. »Was ist los?«, fragte sie und presste die Hände an die Brust. Immer noch schlug ihr Herz schneller, wenn sie ihn sah. »Was ist passiert?«
    »Nichts«, erwiderte er. »Ihr müsst euch fertig machen. Wo ist Dascha? Sie muss sich anziehen.«
    »Wohin gehen wir denn? Dascha kann nicht aufstehen. Das weißt du doch. Sie hustet stark«, erwiderte Tatiana. »Sie wird aufstehen«, sagte Alexander. »Heute Nacht verlässt ein Armeelaster die Garnison. Ich bringe euch nach Ladoga und dann fahrt ihr nach Kobona. Tania! Ich bringe euch aus Leningrad hinaus!«
    Er ging durch den Flur und trat ins Schlafzimmer. Dascha lag unter den Decken und Mänteln und rührte sich nicht.
    »Dascha«, flüsterte Alexander. »Daschenka, Liebes, wach auf.
    Wir müssen gehen. Wir müssen uns beeilen.«
    Ohne die Augen zu öffnen, murmelte Dascha: »Ich kann nicht aufstehen.«
    »Du kannst und du wirst aufstehen«, entgegnete Alexander fest. »Ein Armeelaster wartet an der Kaserne auf uns. Ich bringe euch zum Ladogasee und dann über den See nach Kobona. Dort gibt es genug zu essen, und dann könnt ihr zu eurer Großmutter nach Molotow gehen. Aber du musst sofort aufstehen, Dascha. Komm, lass uns gehen.« Er zog ihr die Decken weg. Dascha flüsterte: »Ich kann nicht bis zur Kaserne laufen.« »Tania hat einen Schlitten. Und sieh mal.« Er zog ein Stück Weißbrot mit Kruste aus dem Mantel. Dann brach er ein Stück von dem weichen Inneren ab und steckte es ihr in den Mund. »Weißbrot! Iss, es wird dir Kraft geben.« Dascha öffnete den Mund. Lustlos kaute sie das Stück Brot, dann hustete sie. Tatiana stand daneben. Sie hatte ihren Mantel angezogen und eine Decke über die Schultern gelegt und sah mit einem Blick auf das Brot, mit dem sie früher einmal Alexander angesehen hatte. Vielleicht wollte Dascha es ja gar nicht aufessen. Vielleicht ließ sie ihr ja etwas übrig ... Aber Dascha aß alles auf. »Hast du noch mehr?«, fragte sie. »Nur die Kruste«, erwiderte Alexander. »Gib sie mir.«
    »Du kannst sie nicht kauen.« »Ich schlucke sie ganz hinunter.«
    »Dascha ... vielleicht kann deine Schwester sie essen?«, bat er. »Sie steht doch aufrecht, oder nicht?«
    Alexander warf Tatiana einen Blick zu. Sie sah sehnsüchtig auf die Kruste, erwiderte aber kopfschüttelnd: »Gib sie ihr. Sie hat Recht.«
    Alexander holte tief Luft und gab Dascha die Kruste. Dann stand er auf und sagte zu Tatiana: »Lass uns gehen. Kann ich dir beim Packen helfen?«
    Tatiana blickte ihn aus leeren Augen an. »Ich habe nichts. Ich bin fertig. Wir haben alles

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