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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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konnte er ihr kaum länger als fünf Minuten böse sein, dazu verfügte Tatiana über zu viele Waffen, um seinen Zorn zu besänftigen.
    Aber er konnte den Gedanken nicht ertragen, sie verlassen zu müssen.
    Eines Tages war Tatiana in die Fischfabrik gegangen. Angeblich gab es dort zurzeit Heringe. Alexander blieb bei der Hütte, lief wie betäubt auf der Lichtung umher und wartete darauf, dass sie wiederkam. Um sich abzulenken, durchsuchte er ihre Truhe nach irgendetwas, das er vielleicht als Andenken an sie mitnehmen konnte. Die Truhe hatte Tatianas Großvater gehört, deshalb dachte Alexander sich zunächst nichts dabei, als er einen schwarzen Rucksack herausholte, der ganz unten unter Kleidungsstücken und Büchern gelegen hatte. Neugierig machte er ihn auf. Er enthielt Dedas alte P-38-Pistole, Wodkaflaschen, Winterstiefel, Dosen mit tuschonka , getrocknetes Brot, eine Feldflasche und Rubel. Auch warme Kleidung in dunklen Farben war darin.
    Alexander rauchte mindestens zehn Zigaretten, bis Tatiana wiederkam.
    Er hörte sie schon, bevor er sie sah. Sie summte eine Walzermelodie. »Shura!«, rief sie fröhlich. »Du wirst es nicht glauben! Ich habe echten Hering bekommen! Wir veranstalten heute Abend ein Festmahl!«
    Sie kam auf ihn zugelaufen und schlang die Arme um seinen Hals. Alexander erwiderte ihren Kuss, zog sie aber gleich zu dem Rucksack. »Was ist das?«
    »Durchsuchst du meine Sachen? Komm, hilf mir lieber, den Hering auszunehmen.«
    »Ich fasse den Hering erst an, wenn du mir gesagt hast, was das hier ist.«
    »Wir sollten uns erst um den Fisch kümmern, ich habe dreißig ...« »Tatiana!«
    Sie seufzte. »Es ist mein Rucksack.« »Was hast du damit vor?« Sie setzte sich auf die Bank.
    Alexander zerrte die dunklen Sachen heraus. »Warum hast du dir diese Kleidung eingepackt?« »Um keinen Verdacht zu erregen.«
    »Nun, dann solltest du lieber deinen verführerischen Mund verdecken. Wohin willst du gehen?«
    »Was ist denn in dich gefahren?«, fragte sie erstaunt.
    Alexander hob die Stimme. »Wohin willst du gehen, Tania?«
    »Ich wollte nur für alles gerüstet sein.«
    »Für was?«
    Sie schlug die Augen nieder. »Um dich zu begleiten.« »Wohin?«
    »Überallhin.« Sie sah ihn an. »Wo auch immer du hingehst. Ich will bei dir sein.«
    Alexander blickte sie sprachlos an. »Aber Tania ... ich gehe zurück an die Front.«
    Sie sah zu Boden. »Ach ...«, erwiderte sie. »Natürlich! Wo sollte ich denn sonst hingehen? Oberst Stepanow hat mir Urlaub bewilligt, damit ich hierher fahren konnte, und ich habe ihm mein Wort gegeben, dass ich rechtzeitig zurückkomme.«
    »Und ihr Amerikaner haltet ja euer Wort immer«, sagte sie zynisch.
    »Ja, das tun wir«, bestätigte Alexander bitter. »Wir brauchen also gar nicht weiter darüber zu reden.« Tatiana hob den Kopf und sagte mit kleiner Stimme: »Dann gehe ich eben mit dir zurück nach Leningrad.« »Tatiana!«, schrie er entsetzt auf. »Machst du Witze? Soll das ein Scherz sein?« Er war so aufgebracht, dass er ein Stück in den Wald hineinlief, um sich wieder zu beruhigen. Als er zurückkam, saß Tatiana da und nahm den Hering aus. Typisch!
    Er war völlig außer sich, und sie bereitete Eisch zu! Er schlug ihr den Hering aus der Hand.
    »Aua!«, schrie sie auf, »Was ist denn los mit dir?«
    Alexander packte sie an den Schultern. »Tania, was zum Teufel denkst du dir eigentlich? Du gehst auf gar keinen Fall mit mir zurück!«
    Sie nickte störrisch mit dem Kopf. Laut und deutlich erwiderte sie: »Doch!«
    »Nein«, sagte Alexander, »du kommst nicht mit. Nicht, wenn ich es verhindern kann. Das heißt, du musst mich schon umbringen. Vergiss es. In meinem nächsten Urlaub komme ich wieder her.«
    »Nein«, erwiderte sie, »du kommst nie mehr zurück. Du wirst irgendwo ohne mich sterben. Ich spüre es. Ich bleibe nicht hier.«
    »Tania, hast du denn vergessen, dass Leningrad immer noch belagert wird? Du kannst nicht zurück! Es werden immer noch Menschen evakuiert. Hast du vergessen, wie es in Leningrad wär? Leningrad ist eine belagerte Stadt und wird immer noch jeden Tag bombardiert. Es ist viel zu gefährlich dort.« »Nun, wenn du einen anderen Vorschlag hast, dann lass es mich wissen. Ich muss jetzt diesen Hering fertig machen.« Alexander ergriff den Hering und wollte ihn in die Kama schleudern, aber Tatiana fiel ihm in den Arm. »Nein! Das ist unser Abendessen, und die Frauen freuen sich schon darauf.« »Du kommst nicht mit. Das ist mein letztes Wort.«

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