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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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sagte: »Du hättest letzten Monat herkommen sollen, Taneschka - es sind nur sieben Bomben auf Leningrad gefallen. Da wärst du sicherer gewesen.«
    »Mach dir keine Sorgen«, erwiderte sie. »Ich bin hinten, wenn du etwas brauchst.«
    In der hinteren Küche war auch niemand. Zu ihrer Überraschung jedoch war die Tür zu ihrem Flur und ihren beiden Zimmern nicht abgeschlossen. Auf ihrem Sofa im Flur saßen zwei Fremde, ein Mann und eine Frau, und tranken Tee. Einen Moment lang blieb Tatiana in der Tür stehen. »Wer seid ihr?«, fragte sie schließlich.
    Sie stellten sich als Inga und Stanislaw Krakow vor. Beide waren sie in den Vierzigern. Er war dick und fast kahl, sie klein und verhutzelt.
    »Und wer bist du*«, fragte Stanislaw, ohne sie anzusehen. Tatiana stellte ihren Rucksack ab. »Das sind meine Zimmer«, erwiderte sie. »Ihr sitzt auf meinem Sofa.« Inga erklärte ihr, sie hätten auf der Siebten Sowjet, Ecke Suworoskij gewohnt. »Wir hatten eine hübsche Wohnung, eine eigene Wohnung«, sagte sie. »Ein eigenes Badezimmer, Küche und Schlafzimmer.« Offenbar war ihr Haus im August ausgebombt worden, und die Stadtverwaltung hatte die beiden einfach in die Zimmer der Metanows einquartiert, weil sie leer standen. »Mach dir keine Sorgen«, sagte Inga, »sie besorgen uns bald wieder eine eigene Wohnung, vielleicht sogar eine mit zwei Zimmern, haben sie gesagt. Nicht wahr, Stanislaw?« »Nun, ich bin jedenfalls wieder hier«, sagte Tatiana, »und die Zimmer stehen jetzt nicht mehr leer.« Sie blickte sich um. Alexander hatte alles so sorgfältig sauber gehalten, dachte sie traurig. »Aber wo sollen wir hingehen?«, fragte Stanislaw. »Die Kommandantur hat uns die Zimmer zugewiesen.« »Was ist mit den anderen Zimmern in der Gemeinschaftswohnung?«, fragte Tatiana. Die anderen Zimmer - in denen andere gestorben waren.
    »Sie sind alle besetzt«, erwiderte Stanislaw. »Hör zu, hier ist doch genug Platz. Du kannst ein ganzes Zimmer für dich allein haben. Worüber beklagst du dich eigentlich?« »Mir gehören beide Zimmer«, sagte Tatiana. »Eigentlich nicht. Die beiden Zimmer gehören der Stadt. Und es herrscht Krieg.« Er lachte freudlos. »Du bist keine gute Proletarierin, Genossin.«
    Inga erklärte: »Stanislaw und ich sind Parteimitglieder.« »Na, großartig«, erwiderte Tatiana. Sie war plötzlich völlig erschöpft. »Welches Zimmer kann ich nehmen?« Inga und Stan hatten ihr altes Zimmer mit Beschlag belegt. Dort stand auch der funktionierende Ofen. In Dedas und Babuschkas altem Zimmer war der Ofen kaputt. Aber Tatiana hatte sowieso kein Holz zum Heizen.
    »Kann ich wenigstens meine borsoika zurückhaben?«, fragte »Und was sollen wir dann nehmen?« »Wie heißt du überhaupt?«, fragte Inga.
    »Tania.«
    Einfältig entgegnete Inga: »Schieb doch einfach die Liege an die Wand, wo auf der anderen Seite unser Ofen steht. Die Wand ist warm. Soll Stanislaw dir dabei helfen?«
    »Inga, du weißt doch, dass ich einen schlimmen Rücken habe«, warf er gereizt ein. »Sie kann die Liege selbst dahin schieben.« Tatiana verrückte Dedas Sofa so weit, dass Paschas kleine Liege zwischen das Sofa und die Wand passte. Die Wand war tatsächlich warm.
    Zugedeckt mit ihrem Mantel und drei Decken schlief Tatiana siebzehn Stunden lang.
    Am nächsten Tag ging sie zur Kommandantur. »Warum bist du denn zurückgekommen?«, fragte die Frau hinter dem Schreibtisch unwirsch, während sie die Dokumente für eine neue Lebensmittelkarte ausstellte. »Wir werden immer noch belagert, wie du weißt.«
    »Ich weiß«, erwiderte Tatiana. »Aber es gibt zu wenig Krankenschwestern. Und schließlich müssen unsere Soldaten gepflegt werden.«
    Die Frau zuckte mit den Achseln und sah sie nicht an. »Im Sommer war es besser«, sagte sie. »Da gab es mehr zu essen. Jetzt wirst du nicht einmal mehr Kartoffeln bekommen.« »Das ist schon in Ordnung«, erwiderte Tatiana. Mit ihrer Lebensmittelkarte ging sie zu Elisej am Newskij Prospekt. Es gab um diese Uhrzeit schon kein Brot mehr, aber sie bekam Milch, Bohnen, eine Zwiebel und vier Teelöffel Öl. Für hundert Rubel kaufte sie eine Dose tuschonka . Da sie noch nicht arbeitete, standen ihr lediglich dreihundertfünfzig Gramm Brot zu, aber Arbeiter bekamen siebenhundert, und Tatiana hatte fest vor, sich Arbeit zu suchen. Sie suchte auch nach einer borsoika , hatte aber kein Glück. Von Alexanders Geld waren ihr noch dreitausend Rubel geblieben, und sie hätte liebend gern die Hälfte davon für

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