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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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kopfschüttelnd fort: »Ich hätte irgendwie versuchen sollen ...«
    »Aber ich habe es ja gar nicht gewollt«, warf Tatiana ein.
    »Ach, Tania, wäre ich doch nur nicht nach Lazarewo gekommen!«
    »Was soll das?«, keuchte sie. »Was sagst du da? Wie kannst du es bedauern .,.« Sie brachte den Satz nicht zu Ende. Verwirrt und aschfahl im Gesicht starrte sie ihn an. Alexander ging gar nicht darauf ein. »Es muss wohl Schicksal gewesen sein. Ich habe dir schon am ersten Tag das Herz gebrochen und, was noch schlimmer ist, ich habe dich in meinen eigenen Untergang mit hineingezogen.« Er schüttelte so heftig den Kopf, dass seine Mütze herunterfiel. Tatiana hob sie auf, bürstete sie ab und reichte sie ihm wieder. »Was redest du da? Mein Herz gebrochen? Was für ein Unsinn, ich bin doch freiwillig zu dir gekommen! Und was heißt hier Untergang? Ich bin nicht dem Untergang geweiht«, erklärte sie stirnrunzelnd. »Ich bin ein Glückskind.« »Du bist blind.«
    »Dann öffne mir die Augen.« Wie du es schon einmal getan hast . Sie schlang sich den Schal fester um den Hals und dachte daran, wie gern sie jetzt in Lazarewo vor dem Feuer säße. Alexander wandte den Kopf ab und begann, am Kanal entlangzugehen. Ohne sie anzuschauen, sagte er: »Ich habe die fünftausend Dollar mitgenommen, weil ich sie Dimitri geben wollte. Ich habe versucht, ihn zu überreden, dass er allein flieht.« Tatiana lachte freudlos auf. »Ach, das habe ich mir fast gedacht. Aber hast du wirklich geglaubt, dass dieser Mann allein nach Amerika geht? Dieser Mann, der sich noch nicht einmal einen halben Kilometer weit mit mir aufs Eis getraut hat?« Sie blieb an einer roten Ampel kurz hinter dem Ingenieursschloss stehen. Im letzten Winter war es zu einem Krankenhaus umfunktioniert worden, aber jetzt war es fast bis auf die Grundmauern niedergebombt. »Dimitri würde nie allein gehen«, fuhr Tatiana fort. »Das habe ich dir doch schon gesagt. Er ist ein Feigling und ein Parasit. Du bist sein Mut und sein Wirt. Was denkst du dir denn? Wenn Dimitri merkt, dass du nicht fliehst, dann flieht er auch nicht, doch stattdessen wird er zu seinem neuen Freund Mechlis vom NKWD gehen und du wirst auf der Stelle ...« Tatiana brach ab und starrte Alexander fassungslos an. Er sah so elend aus! »Du weißt, dass er nie ohne dich fliehen wird.«
    Alexander antwortete nicht. Sie gingen weiter; über die halb zerstörte Fontanka-Brücke.
    »Was willst du also mit all dem sagen?« Sie zupfte an Alexanders Ärmel und blickte ihn forschend an. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er Angst um sich selbst hatte. Um wen also dann?
    Plötzlich war ihr alles ganz klar. Alexander hatte tatsächlich Angst um sie! Er dachte nur an sie. Sie stellte sich vor ihn, so dass er nicht weitergehen konnte. »Sag mir«, bat sie, »was machen sie mit Frauen von Offizieren der Roten Armee, die wegen Hochverrat verhaftet werden? Was machen sie mit Frauen von amerikanischen Männern, die auf der Fahrt ins Gefängnis aus dem Zug springen?«
    Alexander antwortete nicht und schloss die Augen.
    »Oh, nein, Shura«, flüsterte sie. »Was machen sie mit Frauen von Deserteuren?«
    Alexander schwieg noch immer. Er versuchte, an ihr vorbeizukommen, aber sie legte ihm beide Hände auf die Brust. »Weich mir nicht aus«, sagte sie. »Sag mir, was das Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten mit den Frauen von Soldaten macht, die desertieren? Was machen sie mit den Frauen, deren Männer sich in den finnischen Wäldern verstecken?« Alexander schwieg immer noch.
    »Shura!«, schrie sie. »Was wird der NKWD mit mir machen? Wie hat Stalin es genannt, >Schutzhaft    Der Schal rutschte von Tatianas Kopf. Wie betäubt rückte sie ihn wieder zurecht. »Kein Wunder, dass du es mir nicht erzählen konntest. Aber warum bin ich nicht früher darauf gekommen?«, flüsterte sie.
    »Warum? Weil du nie an dich selbst denkst. Und deshalb wollte ich auch, dass du in Lazarewo bleibst, so weit von mir weg wie möglich.«
    Tatiana überlief ein Schauer. Sie steckte die Hände in die Manteltaschen. »Und du hast geglaubt«, sagte sie mit kleiner Stimme, »dass ich in Lazarewo in Sicherheit gewesen wäre?« Sie schüttelte den Kopf. »Was denkst du denn, wie lange es gedauert hätte, bis die Ortskommandantur neben dem Badehaus den telegrafischen Befehl

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