Die Liebenden von Leningrad
Tür. Alexander riss sie auf und schrie: »Was ist?«
Inga murmelte mit hochrotem Gesicht: »Ich wollte nur sehen, ob es Tania gut geht. Tania? Ich habe euch schreien hören ...'« »Es ist alles in Ordnung, Inga«, sagte Tatiana. »Du wirst noch viel mehr hören, bis wir miteinander fertig sind«, fauchte Alexander Inga an. »Du brauchst bloß an der Wand zu horchen.« Dann schlug er ihr die Tür vor der Nase zu und ging wieder auf Tatiana los, die mit erhobenen Händen vor ihm zurückwich.
»Shura, bitte ...« Aber er ließ sich nicht aufhalten und drückte sie, halb besinnungslos vor Wut, auf das Sofa. Sie schlug die Hände vors Gesicht, doch er riss sie ihr weg und schrie sie an: »Versteck nicht dein Gesicht vor mir! Mach mich nicht noch wütender!«
Tatiana schrie auf und versuchte ihn wegzustoßen, aber es gelang ihr nicht. »Hör auf!«, keuchte sie. »Hör auf ...« »In Sicherheit - oder tot, Tania!«, sagte er schrill. »Was ziehst du vor? Bist du lieber in Sicherheit oder tot?«
Sie klammerte sich hilflos an seine Arme. Tot , hätte sie am liebsten gesagt. Tot, Shura.
»Siehst du nicht, was es mir für eine Angst einjagt, dass du hier bist?« Alexander packte sie noch fester. »Doch, das siehst du.
Aber es kümmert dich nicht im Geringsten.«
Tatiana gab es auf, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Ihre Hände sanken hinab. »Bitte«, flüsterte sie. »Bitte, du tust mir weh.«
Alexander lockerte seinen Griff, aber er ließ sie nicht los. Keuchend lag sie unter ihm. Sie bekam kaum Luft. Draußen heulten die Sirenen. »Oh, Shura«, flüsterte sie. Plötzlich stand Alexander auf und sank vor ihr auf die Knie. »Tatiana«, sagte er mit erstickter Stimme, »ich bitte dich, geh fort von hier. Wenn du auch nur etwas Liebe für mich empfindest, dann geh bitte zurück nach Lazarewo. Bring dich in Sicherheit. Du weißt gar nicht, in welcher Gefahr du schwebst.« Immer noch völlig außer Atem, setzte sich Tatiana auf und zog Alexander zu sich. Sie konnte es kaum ertragen, ihn so außer sich zu sehen. »Es tut mir so Leid, dass du wütend bist«, sagte sie und umfasste zärtlich sein Gesicht. »Bitte, sei nicht so böse auf mich.«
Alexander schob ihre Hände weg. »Hast du die Bomben gehört? Und siehst du nicht, dass es nichts zu essen gibt?« »Doch, es gibt etwas zu essen«, erwiderte sie leise. »Ich bekomme siebenhundert Gramm am Tag. Und dazu noch Mittag- und Abendessen im Krankenhaus.« Sie lächelte. »Es ist viel besser als letztes Jahr. Und die Bomben machen mir nichts aus.« »Tatiana ...«
»Shura, hör auf, mich anzulügen. Nicht die Bomben der Deutschen jagen dir Angst ein. Wovor hast du in Wahrheit Angst?« Von draußen ertönte das Pfeifen der Splitterbomben. Es klang ganz nahe. Tatiana zog Alexander an sich. »Hör doch«, flüsterte sie und drückte seinen Kopf an ihre Brüste. »Hörst du mein Herz?«
Er schlang die Arme um sie und für eine Weile saßen sie schweigend da. Bitte, lieber Gott, betete sie, lass mich stark sein für ihn. Er braucht meine Stärke so sehr. Dann schob sie ihn sanft weg, stand auf und trat zu ihrer Kommode. »Du hast etwas in Lazarewo zurückgelassen, Shura. Abgesehen von mir.«
Alexander erhob sich mühsam und setzte sich auf das Sofa. Tatiana holte die fünftausend Dollar aus der Schublade. »Ich habe dir das Geld mitgebracht. Warum hast du denn die Hälfte mitgenommen?«
Alexander schaute sie aus seinen karamellfarbenen Augen voller Liebe und Schmerz an. »Darüber rede ich nicht, wenn Inga an unserer Tür lauscht!«, erwiderte er leise. »Warum nicht? Alles andere tun wir ja auch, während sie an unserer Tür lauscht.«
Sie blickten einander schweigend an. Dann trat Tatiana auf Alexander zu und drückte seinen Kopf an ihren Bauch. Sie kniete sich vor ihn, drückte sich an ihn und wollte mit ihm verschmelzen. Am Ende weinte sie wieder. Sie hatte keine Kraft mehr.
Als der Fliegeralarm vorüber war, gingen sie nach draußen. »Es ist ziemlich kalt«, sagte Tatiana und drängte sich an Alexander. »Warum hast du denn keine Mütze auf?« »Damit du meine Haare sehen kannst. Ich weiß doch, dass sie dir gefallen.« Sie lächelte.
Alexander zog einen Handschuh aus und strich ihr über den Kopf. »Zieh deinen Schal hoch«, sagte er. »Du wirst dich erkälten.«
»Nein, es ist schon in Ordnung. Dein neuer Mantel gefällt mir. Er ist so groß wie ein Zelt.«
Alexander lächelte. »Nächste Woche habe ich es besser als in einem Zelt. Im Hauptquartier wird
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