Die Liebenden von Leningrad
»Dann fährst du also nach Molotow?«, fragte Alexander. »Ja.«
»Gut«, erwiderte er ohne Zögern. »Tania, ganz gleich, ob ich etwas über Pascha herausfinde oder nicht - du musst auf jeden Fall gehen. Dein Großvater hat das Glück, dass er dort eine Stelle bekommt. Die meisten Leute werden nicht evakuiert.«
»Meine Eltern meinen, hier in der Stadt sei es immer noch am sichersten. Sie sehen ja, das Tausende von Menschen vom Land nach Leningrad kommen«, erklärte Tatiana.
»Kein Ort in der Sowjetunion ist sicher«, entgegnete Alexander nachdrücklich.
»Sei vorsichtig«, bat sie leise.
Alexander beugte sich zu ihr hinunter und Tatiana verschlang ihn mit den Augen. »Was willst du sagen?«, flüsterte sie, aber bevor er antworten konnte, kam Dimitri aus dem Tor gestürmt. »Hallo«, sagte er stirnrunzelnd zu Tatiana. »Was machst du denn hier?«
»Ich wollte dich besuchen«, erwiderte Tatiana rasch. »Und ich rauche gerade eine Zigarette«, sagte Alexander. »Und zufälligerweise muss er gerade dann rauchen, wenn du mich besuchen kommst«, sagte Dimitri lächelnd. »Nett von dir. Ich bin gerührt.« Er legte den Arm um sie. »Ich bringe dich nach Hause, Taneschka«, bestimmte er und führte sie auf die Straße. »Sollen wir noch irgendwo hingehen? Es ist ein schöner Abend.« »Bis dann, Tania!«, rief Alexander ihr nach. Tatiana wäre beinahe in Ohnmacht gefallen.
Alexander suchte Oberst Michail Stepanow auf. Er hatte im Krieg gegen Finnland unter ihm gedient, als der Oberst noch Hauptmann war und Alexander Leutnant. Der Oberst hatte Aussicht auf zahlreiche Beförderungen bis hin zum Generalmajor gehabt, aber er hatte es vorgezogen, seinen Rang zu behalten und die Garnison in Leningrad zu führen. Oberst Stepanow war ein großer Mann, fast so groß wie Alexander. Er war schlank und hielt sich äußerst aufrecht, aber seine Bewegungen waren geschmeidig und in seinen blauen Augen lag eine tiefe Traurigkeit, sogar wenn er lächelte. »Guten Morgen, Genosse Oberst«, grüßte Alexander und salutierte.
»Guten Morgen, Leutnant«, erwiderte der Oberst und kam hinter seinem Schreibtisch hervor. »Stehen Sie bequem, Soldat.« Sie schüttelten einander die Hände. Dann setzte sich Stepanow wieder hinter den Schreibtisch. »Wie geht es Ihnen?« »Sehr gut, Genosse Oberst.« »Wie kommen Sie mit Major Orlow zurecht?« »Es ist alles in Ordnung, Genosse Oberst. Danke.« »Was kann ich für Sie tun?«
Alexander räusperte sich. »Ich hätte gern eine Information von Ihnen.«
Alexander verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Die Freiwilligen, Genosse Oberst... was geschieht mit ihnen?« »Die Freiwilligen? Das wissen Sie doch, Leutnant Below. Sie haben sie doch ausgebildet.« »Ich meine diejenigen bei Luga und Nowgorod.« »Nowgorod?« Stepanow schüttelte den Kopf. »Die Freiwilligen dort waren in Kämpfe verwickelt. Die Lage in Nowgorod ist nicht gut. Unausgebildete sowjetische Frauen werfen Granaten auf Panzer. Manche haben lediglich Steine.« Oberst Stepanow blickte Alexander aufmerksam an. »Warum wollen Sie das wissen?«
»Oberst«, setzte Alexander an und schlug die Hacken zusammen. »Ich versuche, einen siebzehnjährigen Jungen zu finden, der sich in einem Sommerlager in der Nähe von Tolmachewo aufhält. In den Lagern ist niemand zu erreichen und seine Familie ist außer sich vor Angst.« Alexander blickte den Oberst schweigend an. »Ein Junge, Genosse Oberst. Sein Name ist Pawel Metanow. Er ist in einem Sommerlager in Dohotino.« Stepanow musterte Alexander ein paar Minuten lang schweigend und sagte schließlich: »Nehmen Sie Ihren Dienst wieder auf! Ich sehe zu, was ich herausfinden kann. Ich kann Ihnen aber nichts versprechen.« Alexander grüßte. »Danke, Genosse Oberst.«
Später am Abend kam Dimitri zu dem Quartier, das sich Alexander mit drei anderen Offizieren teilte. Sie spielten gerade Karten. Alexander hatte eine Zigarette im Mundwinkel und mischte den Stapel. Er drehte kaum den Kopf, um Dimitri anzusehen.
Dimitri hockte sich neben Alexanders Stuhl und räusperte sich. »Grüßen Sie Ihren vorgesetzten Offizier, Chernenko«, befahl Oberleutnant Anatoli Marasow, ohne von seinen Karten aufzublicken. Dimitri stand auf und grüßte Marasow. »Genosse Leutnant«, sagte er. »Stehen Sie bequem, Gefreiter.« »Was ist los, Dima?«, fragte Alexander. »Nicht viel«, erwiderte Dimitri und ging erneut in die Hocke. »Können wir irgendwo ungestört reden?« »Wir können hier reden. Ist alles
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