Die Liebenden von Sotschi
Strelenko. »Das ist sie …« Und plötzlich schrie er, obwohl er allein war: »Genossen, das ist sie!!«
Er kniete noch immer vor dem Fernsehgerät, die Kamera war längst weitergeschwenkt, aber Strelenko sah nichts als die ins Theater drängenden Gäste, und in ihrer Mitte diesen Frauenkopf, dieses Gesicht, das er sich eingeprägt hatte wie kaum jemals ein anderes Bild; ein Gesicht, das sich voll in die Kamera drehte und etwas verschämt lächelte.
Strelenko drückte auf die Tasten und suchte einen anderen Sender. Vier Stationen übertrugen das Theaterereignis, die Kameras waren im Globe verteilt.
Der zweite Sender: Bilder von der Auffahrt.
Der dritte Sender: Im Zuschauerraum. ›Very important persons‹ gehen zu ihren Plätzen. Ein Kommentator stellte sie vor.
Der vierte Sender: Aufnahmen aus der Garderobe. Pelze werden weitergereicht. Geschmeide funkeln, Filmstars lächeln in die Kamera und winken. Ein gewaltiges Gedränge. Und da war sie wieder: vor dem Spiegel! Sie ordnete ihre hochgesteckten Haare, war ein paar Sekunden lang im Bild, als habe der Kameramann sich in sie verliebt. Jetzt trat ein Mann zu ihr, sprach mit ihr, dann kam noch eine Frau, kleiner, etwas pummelig (es war das Kartonagenehepaar), während Bubrow noch in der Masse vor der Garderobentheke stand und die Mäntel loswerden wollte (aber das konnte Strelenko nur vermuten). Die Kamera schwenkte weiter, erfaßte Fred Astaire und Ginger Rogers und andere Stars.
Strelenko erhob sich von den Knien, ging zu seinem Sessel zurück, trank eine ganze Flasche Bier leer und war fast schwindelig vor Glück. Dann rief er Wassili an, von dem er wußte, daß er, nach einem langen Parkwächtertag, zu Hause war, und befahl ihm, vor dem Globe Theatre Posten zu beziehen.
»Ich komme selbst hin!« sagte Strelenko mit vor Erregung zitternder Stimme. »Jetzt darf nichts mehr danebengehen. Wenn wir diese Spur verlieren, sollten wir uns umbringen! Ja, sie ist im Theater. Irene Walther. Der Genosse Ussatjuk hatte recht: Der Weg zu Bubrow führt nur über sie! Wassili – weißt du, wo die anderen sind?«
»Nein, Genosse Leutnant. Irgendwo …«
»Jetzt braucht man sie, die Hurensöhne, und wo sind sie?«
»Wer konnte das ahnen? Nach so vielen Monaten!«
Strelenko rief auch noch McDunne an, aber auch der war nicht in seiner Wohnung. Er saß im Italienerviertel in einem Restaurant und verzehrte köstliche Canneloni.
Strelenko nahm den ersten Akt des Musicals noch auf Band, fand das Stück reichlich flach und dumm, aber offenbar genau der amerikanischen Mentalität angepaßt, denn nach dem 1. Akt brach ein Beifallsjubel los, wie man ihn selten erlebt hatte. Dann zog er sich um.
Er wählte eine Lederjacke, in die Taschen für die automatische Pistole, für Handgranaten, zwei Wurfmesser und zwei Sprengsätze eingearbeitet waren. Dann stülpte er einen Motorradhelm über seinen hübschen Kopf und war somit unkenntlich wie ein Marsmensch. Er nahm auch kein Auto – das wäre ihm nicht wendig genug gewesen –, sondern stieg auf eine schwere Yamaha-Maschine, mit der er allen davonrasen konnte.
So tauchte er, während der 2. Akt lief, vor dem Globe Theatre auf und sah dort Wassili mit einigen Schoffören reden. Strelenko fuhr an ihm vorbei, Wassili hob die Hand, zum Zeichen, daß er ihn erkannt hatte. Dann stellte er nach zwei Runden das Motorrad auf dem Times Square ab und setzte sich dort auf eine Bank.
Der Wolf hatte seine Beute gefunden.
Im Theater brüllten die Zuschauer über die Späße eines Komikers, der Bob Hope imitierte. Bob Hope saß in der zweiten Reihe und lachte sich krumm.
In der Pause nach dem 2. Akt sagte Irene zu Bubrow: »Sieht man mir etwas an?«
Er starrte sie entsetzt an und schüttelte den Kopf.
»Nein! Mein Gott, was denn? Du siehst blendend aus!«
»Mir geht es sauschlecht …«
»Irininka!«
»Mir ist übel, schwindelig, ich habe plötzlich Platzangst …« Sie hakte sich bei ihm unter und legte den Kopf an seine Schulter. »Ich lasse mich morgen untersuchen. Ich glaube, wir bekommen ein Kind …«
Es war, als habe Bubrow eine göttliche Inspiration bekommen.
Er küßte Irene vor allen Leuten, die ihm beifällig zugrinsten, rannte zur Garderobe, holte Irenes Mantel, entschuldigte sich bei seinen Nachbarn, den Kartonfabrikanten, und es fehlte nicht viel, und er hätte Irene durch den Hinterausgang des Globe Theatre, der auf die 43. Street West führte, getragen.
»Nach Ardsley«, sagte er zum Taxifahrer. »Das ist hinter
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