Die Liebenden von Sotschi
darüber in Ardsley, aber dann war es schon wieder vergessen. Man hatte die Jeffersons zur Kenntnis genommen und würde sie zum nächsten Wohltätigkeitsfest einladen. Dann würde sich an der Höhe ihrer Tombola-Stiftung ablesen lassen, ob man näher mit ihnen verkehren konnte. Mr. Anthony Jefferson sollte Literaturwissenschaftler sein, Mrs. Mabel Jefferson Ärztin. Das waren immerhin honorige Berufe; sie paßten in den kleinen, exklusiven Kreis von Ardsley. Vor allem der Golf Club hoffte, daß Mr. Jefferson den Weg ins Clubhaus finden und um Aufnahme bitten würde. Von weitem besehen, das ließ sich schon jetzt sagen, waren es annehmbare Menschen.
Bubrows neues Gesicht wirkte nun fast normal. Es war sehr männlich mit dem markanten Kinn, der ausdrucksvollen Nase, den vollen Wangen und den buschigen Augenbrauen. Die Falten neben seinen Mundwinkeln machten auf sarkastische Aphorismen gefaßt. Eines war auf keinen Fall mehr vorhanden: eine auch nur entfernte Ähnlichkeit mit Boris Alexandrowitsch Bubrow.
Dieser Mensch war endgültig ausgelöscht.
»Am nächsten Ersten kannst du anfangen«, sagte Cohagen. »Wir haben es so eingerichtet, daß dir das Übersetzungsmaterial ins Haus gebracht wird. Man holt es auch wieder ab.«
Das Leben normalisierte sich. Die Jeffersons wurden unauffällige Bürger von Ardsley, die man auf der Straße grüßte, und mit denen man im Supermarkt zwischen den Regalen oder an der Kasse gern ein paar nette Worte wechselte. Sie besuchten sogar – auf Anraten Cohagens – den sonntäglichen Gottesdienst und spendeten 200 Dollar für spastisch gelähmte Kinder, was man sehr wohlwollend vermerkte.
Als das hübsche weiße Holzhaus komplett eingerichtet war, gaben Irene und Boris eine kleine Party, um sich den Nachbarn näher vorzustellen. Das Fest dauerte bis zum Morgen, war ein voller Erfolg, und die Jeffersons gehörten nun fest zur Gemeinde Ardsley. Entzückend fand man, daß Mrs. Mabel, die Ärztin, aus Schweden stammte, wie sie sagte. Man hörte es an ihrem nordisch gefärbten Englisch. Anthony Jefferson sprach sehr gepflegt, was mit seinem Beruf als Literaturwissenschaftler zu tun haben mochte; zudem kam er ja aus dem Staate Oregon, wo man natürlich etwas anders spricht als am Hudson.
Im Spätsommer schliff Jeff Tucker die letzten Narben von Bubrows Körper weg. »Nun sind Sie perfekt, Tony!« sagte er, stolz auf sein Meisterwerk. Auch das Gebiß war verändert worden; zwei schöne Goldzähne blitzten, wenn Bubrow herzhaft lachte. »Ich kann Sie aus meinen ärztlichen Klauen entlassen. Viel Glück auf Ihrem weiteren Lebensweg!«
Cohagen war tatsächlich nach Ägypten abgestellt worden, um auf Sadat aufzupassen. Er schrieb ein paar Ansichtskarten vom Nil, von den Pyramiden und aus Abu Simbel, aber die Briefe, die Bubrow ihm schickte, kamen als unzustellbar zurück. Cohagen oder Rik Holland, wie er in Ägypten heißen sollte, gab es dort nicht. Er war im Untergrund verschwunden. Seine bunten Postkarten hatten Mabel und Tony nur zeigen sollen, daß er noch lebte.
»Ein fürchterlicher Beruf!« sagte Irene einmal.
»Man kann sich daran gewöhnen.« Bubrow nickte erinnerungsschwer. »Ich war nicht anders. Welch ein Glück, das hinter sich zu haben!«
Einem harten, eisigen Winter folgte ein samtweicher Frühling. Die Gärten und Parks entlang des Hudson blühten auf, Bubrow entfernte den Strohschutz von den Rosenstöcken und tapezierte die Eingangsdiele neu. Es waren erfreuliche Tage, zumal Cohagen seine Rückkehr aus Ägypten angekündigt hatte. Anscheinend war die Gefahr für Sadat vorüber. Bubrow hatte sich allerdings immer wieder gefragt, welche Aufgabe Cohagen dort gehabt haben mochte.
Die Jeffersons waren nun voll in das gesellschaftliche Leben ihrer neuen Welt hineingewachsen. Es gab Partys bei den Klinikärzten, Besuche der Broadway-Theater, in der Metropolitan-Oper, in der Carnegie Hall oder der Radio City Music Hall; man machte gemeinsame Ausflüge, und selbstverständlich war Anthony Jefferson Mitglied des Golf Clubs geworden, obwohl er vom Spiel nichts verstand. Das sollte sich jetzt im Frühjahr ändern; der Trainer war schon informiert.
In diesen Tagen wollte man im Globe Theatre am Broadway die festliche Premiere eines Musicals besuchen, von dem man schon wochenlang vorher die tollsten Gerüchte gehört hatte.
Irene kaufte sich für diesen Gala-Abend ein wundervolles Abendkleid aus einem blausilbern schimmernden Stoff, ein sündhaft teures Stück aus einem Modesalon
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