Die Liebenden von Sotschi
müssen uns allein helfen, Irinaschka.« Er stand auf, kam um den Tisch herum und zog ihren Kopf an seine Brust. Sie zitterte und schlang den Arm um seine Hüfte. »Du bist Ärztin! Du kannst überall arbeiten. Und ich habe zwei kräftige Hände, die alles tun werden, was Geld bringt. Laß uns weggehen, Liebling!«
»Wohin?« Ihre Stimme war ganz klein. »Mein Gott, wohin denn?«
»Nach Amerika.«
»Ausgerechnet Amerika! Das ist nicht der goldene Westen, wie ihr im Osten immer glaubt.«
»Aber dort wäre ich sicher, Irinaschka.«
»Wenn dich die Russen wirklich bestrafen wollen, ist auch Amerika nur eine Tür weiter. Du müßtest schon auf einen anderen Stern ausweichen.« Sie blickte an ihm hoch, seine Gesichtszüge wirkten verkrampft. Er weiß mehr, als er sagt, dachte sie erschrocken. Irgend etwas ist in den letzten Tagen vorgefallen, worüber er nicht offen sprechen will! Hat Moskau sich am Ende doch heimlich gemeldet und ihn bedroht?
»Es ist wirklich nichts passiert?« fragte sie und spürte, wie ein Krampf ihre Kehle einschnürte.
»Nein. Noch nicht.«
»Keine Warnung?«
»Nein. Aber darauf warte ich.«
»Und von wem sollte sie kommen?«
»Das weiß ich nicht«, log er. Dann aber sagte er doch die Wahrheit: »Je länger sie still sind, um so kritischer wird es.« Je länger ich still bin, dachte er. Aber das kann ich ihr nicht sagen.
»Du hast plötzlich Angst?«
»Angst? Soll man das so nennen?« Bubrow schüttelte den Kopf. »Ich möchte nur, daß wir irgendwo sicher leben und daß die Vergangenheit hinter uns liegt. So weit, daß sie uns nicht einholen kann. Du könntest Ärztin irgendwo in einem kleinen Ort des amerikanischen Mittelwestens sein, wir könnten uns eine kleine Farm kaufen, die ich bewirtschafte – ein Leben in einem weiten, friedlichen Raum. Wir sollten das überlegen, Irinaschka. Schnell und gründlich überlegen.«
Er löste sich aus ihrem Arm, ging zu der kleinen, in einen Bücherschrank eingebauten Hausbar, holte zwei Gläser und eine Flasche Kognak und lächelte Irene etwas angestrengt zu. »War mein Schaschlik nicht hervorragend?«
»Wann heiraten wir?« fragte sie, während sie ihr Glas entgegennahm.
»Wenn du dich von diesen schrecklichen Bakterien getrennt hast.« Er stierte in sein Glas, schien plötzlich völlig verändert. »Ich kann mit diesen Ungeheuern nicht leben! Ich weiß, ich weiß, sie kleben nicht an dir. Aber der Gedanke, daß du von ihnen kommst, daß du stundenlang mit ihnen experimentiert hast – der wird mir immer unerträglicher! Verzeih mir, Irinaschka, aber ich kann nicht anders.«
Sie glaubte ihm, wie sie ihm immer alles glaubte. Sie trank ihren Kognak und stellte das Glas ziemlich hart auf den Tisch zurück. »Ich will es versuchen«, sagte sie.
»Was?«
»Aus dem Vertrag herauszukommen.«
»Oh, mein Liebling!«
»Ich will mit Dr. Ewingk sprechen. Er wird mich zwar nicht verstehen –«
»Darum laß uns einfach weggehen! Wir sind einfach nicht mehr da.«
»Das würde eine weltweite Fahndung auslösen. Boris, ich habe einen Eid geleistet! So etwas bricht man nicht, ohne seine Selbstachtung zu verlieren. Du kannst das nicht verstehen, du bist nie in einer solchen Lage gewesen.«
»Doch!« Er sah sie mit einem strahlenden, jungenhaften Lächeln an. »Ich habe geschworen, dich nie zu verraten, nie zu erzählen, was du mir im Keller vorgeführt hast.«
»Und würdest es doch tun?«
»Nein!« Es ging ihm ohne Mühe von den Lippen. »Niemals.«
»Und ich soll es tun?«
»Sprich mit Dr. Ewingk darüber«, sagte er und füllte die Gläser nach. »Daß wir darüber überhaupt sprechen, ist schon der Beginn eines neuen Weges. Irinaschka: Muß es München sein?«
»Nein.«
»Wie glücklich machst du mich!« Seine Augen wurden glänzend, als halte er Tränen zurück. »Es gibt so viele schöne Winkel auf dieser Welt.«
Ronald Cohagen gehörte nicht zu den Menschen, die schnell ungeduldig werden; schließlich hatte er in Asien Erfahrungen sammeln können und gelernt, daß besonnenes Warten eher zum Erfolg führt als blindwütiges Vorpreschen.
Bubrow hatte er nach vierzehn Tagen hinreichend beobachtet, um alles bestätigt zu finden, was in der CIA-Akte über ihn zu lesen war: Ein harmloser Bursche, der nur einmal durchgedreht hatte, als er aus Liebe zu einer Frau ein Düsenflugzeug entführte. Es war sogar anzunehmen, daß er das längst selber nicht mehr verstand und bei der Erinnerung feuchte Hände bekam.
Cohagen besuchte nun Bubrows
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