Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
wie unglaublich schön der war. Sie log nie, sagte nur, was sie meinte. Die jungen mit den glattrasierten Pornomurmeln sogen ihre Worte über Ästhetik und Formvollendung in sich auf, die total Behaarten interessierten sich mehr für Leistungsstärke und Härte und Ausdauer. Aber einer wie der andere waren sie fixiert auf Größe, genauer gesagt auf Länge. Nur die jungen begriffen, dass Dicke ebenso wichtig war wie Länge.
Was Tonje auch nicht begriff, war, dass die jungen Männer eigentlich einfach nur Sex haben wollten. In Tonjes Fall allerdings ging es darum, einmal mit ihr zusammen gewesen zu sein, weil sie so schön war. Die Männer trugen Tonje mit sich herum wie ein Schmuckstück, brüsteten sich in den Kneipen mit ihr und ertrugen es, dass sie über ihre Gefühle faselte und wahrscheinlich jeden Orgasmus vortäuschte, weil es ihr wichtiger war, wie sie im Bett aussah, wie sie aus den unterschiedlichen Winkeln auf die Männer wirkte. Die schönsten Mädchen hatten hundertmal mehr Komplexe wegen ihres Körpers als die Männer selbst, und das merkten sie, sie merkten aller Wahrscheinlichkeit nach, dass Tonje gar nicht bei der Sache war, dass sie nur aus diplomatischen Erwägungen mit ihnen schlief, dass sie im tiefsten Herzen nur kuscheln und romantisch über eine gemeinsame Zukunft reden wollte.
Ingunn hatte oft Mitleid mit Tonjes kurzfristigen Liebhabern. Vermutlich wichsten sie Tag und Nacht mit den wildesten Phantasien vor ihrem inneren Auge, nur, um es mit Tonje aushalten zu können. Und natürlich brauchte man dasselbe Schmuckstück nicht länger als drei oder vier Wochen zu tragen. Schon das war fast ein wenig zu lange.
Tonjes Liebhaber taten ihr leid. In dem Alter dachten sie nur daran, sich Mösenzugang zu verschaffen, jeden Tag erwachten sie mit einer Morgenlatte und fragten, ob es heute wohl passieren würde, sie diskutierten im Netz Aufreißtricks, tauschten mehr oder weniger gut begründete Erfahrungen aus, einige meinten, man müsse zurückhaltend sein und die Damen ein wenig hinhalten, andere schworen auf überschäumende Schmeicheleien, aber für sie alle galt das eine, sie wollten Mösen, Mösen, Mösen. Sie wollten mit einer schlafen, die sie jubelnd und widerstandslos und ohne Verpflichtungen oder Gerede aufnahm.
Oft gab sie sich der Phantasie hin, dass sie sich, während Tonje auf der Toilette war und ihre Augenwimpern bog oder sich selbstbräunende Creme auf den Bauch schmierte, Tonjes Handy schnappte und diese jungen frustrierten Männer anrief, die ihre schön posierende Bettgenossin satthatten, dass sie sie anrief und sagte: Komm einfach, dann zeig ich dir, wie es sein kann.
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Aber sie lockte nie die Männer von anderen, wenn sie die Frau zuerst kennengelernt hatte, auch wenn zwischen den beiden schon Schluss war. Sie flirtete auch nicht mit ihren Arbeitskollegen. Bei Freelancern aber machte sie Ausnahmen, bei Festangestellten nie. Auch bei Fotografen machte sie Ausnahmen, da die nicht einen ganzen Arbeitstag oder eine Spätschicht hindurch physisch in ihrer Nähe waren. Sie wusste niemals vorher, mit welchem Fotografen sie zu einem Interview losgeschickt werden würde. Wenn sie zusammen in eine andere Stadt fuhren, zu einem Festival oder einem Interview im Vorfeld eines Konzertes, war es oft von Vorteil, wenn zwischen ihnen etwas in der Luft lag, sie sollten schließlich gemeinsam gute Arbeit abliefern, Funken sprühende Reportagen. Das hob die Tage und die Reisen aus dem üblichen Trott heraus und sorgte dafür, dass alles stimmte, Hotelzimmer und Kost, stimulierende und Wartezeit verkürzende Umgebungen.
Sie wusste, dass über sie geklatscht wurde. Aber das störte sie nicht. Sie spielte sie nicht gegeneinander aus, sprach niemals mit einem Mann über einen anderen.
»Du hast mit Simon geschlafen, stimmt’s?«
»Hm. Vielleicht«, sagte sie.
»War er besser als ich?«
»Hör doch auf. So was kann man überhaupt nicht vergleichen.«
»Er hat gesagt, du hättest gesagt, er sei im Bett saugut.«
»Das hat er gesagt?«
»Ja? Hast du das zu ihm gesagt?«
»Weiß ich nicht mehr. Wenn ich dir sage, dass es toll ist, mit dir zu vögeln, erzählst du das dann Simon?«
»Vielleicht … Wenn er sich aufspielt und die Klappe zu weit aufreißt.«
»Okay, dann sage ich es nicht.«
»Du findest es also toll, mit mir zu vögeln?«
»Kein Kommentar. Aber wir können es gern noch mal machen. Wenn du noch kannst.«
»Simon ist doch beschnitten. Schließlich ist er Jude. Wie war das
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