Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
dem Heimweg vom Osloer Flughafen aus anrief und erzählte, sie sitze im Bistro Kampen , sei mit Ingrid Olava verabredet und werde erst zwei Tage später nach Hause kommen. Als sie das Gespräch beendete, war sie in Gedanken bereits dabei, einen Koffer mit fiktivem Unsinn zu füllen, um ihn darauf in seiner Diele abzustellen, und dann wusste sie, dass Schluss war. Sie brauchte Ruhe, wenn sie von Reisen und Aufträgen zurückkam, sie brauchte eine Oase, wo sie sich von allem zurückziehen konnte.
Während er glaubte, sie sei im Krieg gewesen und brauche ein Debriefing.
Er begriff rein gar nichts, als sie sagte, es sei aus, als sie zwei Tage später zu ihm kam, ohne Koffer. Schon in der Diele duftete es nach Essen.
»Was kannst du denn nicht mehr ertragen?«, fragte er.
»Das hier.«
»Das hier?«
»Diese verdammte Hektik, dass ich nicht allein sein darf.«
»Du bist doch die ganze Zeit allein. Du bist dauernd auf Reisen … und wir wohnen ja nicht mal zusammen.«
»Ich kann das nicht so ganz erklären.«
»Versuch es wenigstens.«
»Schaff es eben nicht. Aber es ist Schluss. War sehr gutes Essen. Tausend Dank. Es war schön. Vieles war schön. Mit dir und so. Uns. Tut mir leid.«
»Gehst du?«
»Ja, schon. Tut mir leid.«
»Ja, das hast du schon gesagt. Dass es dir leidtut.«
»Aber das stimmt ja auch. Du warst wunderbar … es ist nur so, dass ich alles in meinem eigenen Tempo machen muss. Das Problem liegt nicht bei dir.«
»Ach, wie schön. Das ist gut zu wissen, meine ich. Dann geh jetzt eben. Du musst ja einen verdammt gründlichen Beziehungsschaden abgekriegt haben.«
»Beziehungsschaden? Das Wort muss ich mir merken. Wer weiß, wozu das noch mal gut sein kann.«
Das Seltsame war, dass ihr verdammt viel an ihm gefiel. Wenn er sie nur an diesem verdammten ersten Tag nach einer Reise in Ruhe lassen könnte, würde die Sache ganz anders aussehen. Später fiel ihr ein, dass sie ihm eigentlich niemals offen gesagt hatte, dass sie gern ein wenig Ruhe wollte, wenn sie nach Hause kam. Sie hatte erwartet, dass er Hellsehen konnte, so, wie ein Kind erwartet, dass die Eltern jedes seiner Bedürfnisse voraussehen. Aber als sie zu dieser Erkenntnis gelangte, war es ohnehin schon zu spät. Sie brauchte eine Weile, um sich auf seine negativen Seiten zu konzentrieren, das Schlimmste, was ihr einfiel, war, dass er beim Frühstück immer das Messer mit den Butterresten in den Honig steckte. Ihr verging der Appetit, wenn sie im Honig Butterreste sah.
28
Das Zweitbeste beim Alleinwohnen war, dass sie in Ruhe PMS -geplagt sein konnte, ohne einen Mann an ihrer Seite zu wissen, der das als persönliche Beleidigung auffasste.
Das PMS stellte sich drei oder vier Tage vor der Regel ein, wie ein schwarzer schwerer Vorhang, der ihr ungefähr zwanzig Minuten Vorwarnung gab, ehe er sie von allen Seiten einhüllte, wie eine erstickend depressive allumfassende Wirklichkeit. Das kleinste Problem wurde unüberwindlich, sie brach bei lächerlich wenig Widerstand in Tränen aus, es reichte, dass eine Küchenschublade klemmte, weil ein Messer sich verkeilt hatte, oder dass sie den Einkaufswagen im Laden nicht sofort losmachen konnte.
Sie verbrauchte krankhaft viel Energie für persönliche Hygiene, ein Kraftaufwand war vonnöten, um zu duschen oder ein wenig Wimperntusche aufzutragen, der Rest der fehlenden Energie floss in die Aufgabe, in der Redaktion normal zu wirken, und deshalb brach sie einfach zusammen, wenn sie nach Hause kam, sie schaffte es kaum, sich etwas zu essen zu machen, wollte nur Brote mit Makrele in Tomatensoße und viel Schokolade. Nur an diesen Tagen im Monat mochte sie Schokolade, und die musste so dunkel sein wie möglich, am besten aus bis zu 78 Prozent reinem Kakao.
An diesen Tagen in ihrer eigenen Wohnung einen Mann zu dulden war so gut wie unmöglich. Nicht zuletzt, weil es ihr, wenn dieser Vorhang sich erst über sie gesenkt hatte, unmöglich war zu begreifen, dass es sich wirklich um PMS handelte. Alles kam ihr endlos und unüberwindlich vor. Sie wollte kündigen, den aktuellen Mann loswerden, ihr Handy ins Klo werfen, aus dem Blickfeld aller verschwinden, es gab einfach keine Normalität mehr.
»Was ist eigentlich los mit dir? Kriegst du deine Tage oder was?«
»Lass mich doch einfach in Ruhe«, sagte sie.
»In Ruhe? Du hast gut reden. Du läufst hier mit Mord und Totschlag in den Augen herum, und ich soll dich in Ruhe lassen?«
»Ja. In Ruhe.«
»Soll ich etwa in ein Hotel ziehen?«
»Mir
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