Die Liebesbloedigkeit
verstärke die Kritik, indem ich auf ein ärgerliches Frischluft-Aggregat aufmerksam mache, das an der Decke hängt und viel zu kalte Luft auf die Tische herabbläst. Die Hotelkritik bringt eine gute Stimmung zwischen uns hervor. Frau Dr. Krüger nimmt kleine Schlucke Kaffee und sagt: Ich sitze zusammen mit achtundzwanzig Kollegen in einer Düsseldorfer Kanzlei.
Ich atme deutlich hörbar ein und aus und sehe gepeinigt auf den Fußboden. Frau Dr. Krüger beginnt morgens um acht mit ihrer Arbeit und verläßt das Büro nicht vor neun. Auch zu Hause muß sie das Handy eingeschaltet lassen. Frau Dr. Krüger klagt nicht, aber ich begreife, die Beschreibung ihrer Lebensumstände ist schon die Klage. Frau Dr. Krüger ißt nur ein halbes Brötchen und verläßt dann mit halb leidenden und halb lasziven Bewegungen den Tisch.
Auch ich will aufbrechen, aber da tritt einer der gestern eingetroffenen Rentner an meinen Tisch und bittet um fünf Minuten Aufmerksamkeit. Er stellt sich vor: Dr. Neuner, Anästhesist aus Saarbrücken.
Ein Teil unserer Naturkundegruppe möchte gerne Ihr Apokalypse-Seminar mitmachen, sagt Dr. Neuner, ist das noch möglich?
Aber ja, sage ich.
Ihr Seminar ist sehr gelobt worden, sagt Dr. Neuner. Es sind elf Personen aus unserer Gruppe, die sich gern noch anmelden würden.
Kein Problem, sage ich und biete an, für die verspätet Angemeldeten eine Kurzfassung des gestrigen Vortrags nachzuholen. Dr. Neuner ist erfreut und will die Botschaft gleich bei seinen Clubfreunden verbreiten. Gerade der gestrige Vortrag ist von Ihren Seminarleuten sehr gerühmt worden, sagt Dr. Neuner.
Ich schlage vor, die Kurzfassung um 12.00 Uhr im Salon ›Burgund‹ zu referieren, unmittelbar vor dem Mittagessen.
Dr. Neuner nickt; er kündigt an, daß seine Clubfreunde, die er die »geistig Regsamsten der Sektion Saarbrücken« nennt, den vollen Seminarpreis bezahlen werden.
Aber jetzt gehts erst weiter mit dem zweiten Vortrag, pünktlich um zehn Uhr, sage ich.
Dr. Neuner freut sich und lacht.
Ist das nicht ein bißchen viel Apokalypse auf einmal? frage ich scherzhaft.
Wir haben schon viel härtere Bildungstermine durchgestanden, antwortet Dr. Neuner ebenso scherzhaft.
Noch während wir reden, spüre ich ein starkes Jucken an der rechten Hand. Ich höre Dr. Neuner zu und kratze mich, bis meine rechte Hand langsam rot anläuft.
Also bis zehn Uhr, sagt Dr. Neuner und erhebt sich; das Finanzielle regeln wir nach dem Mittagessen.
Ist gut, mache ich.
Ich muß den Frühstücksraum verlassen, ehe Frau Schmittner zurückkehrt. Bis zum Beginn des zweiten Vortrags muß ich unbedingt eine Stunde lang allein sein. Es gelingt mir, dem Frühstücksraum unbehelligt zu entkommen und das Foyer zu durchqueren. In der Toilette sehe ich, daß mein Urin heute schaumig ist. Wie Bier mit weißer Schaumkrone schießt der Strahl in die Schüssel. Dann werden auch noch kleine weiße Bläschen sichtbar. Ich bin beunruhigt, aber nicht lange. In Wahrheit bin ich freudig erregt über die elf neuen Teilnehmer. Dieser Zuwachs macht mein Seminar zum erfolgreichsten meiner ganzen Apokalyptiker-Karriere. Jetzt wird mich die Geschäftsführung umsonst wohnen lassen und mir die Reisekosten bezahlen. Erst draußen, während ich einen stillen Parkweg entlanggehe, sehe ich, daß sich zwischen den Fingern meiner rechten Hand ein Ekzem gebildet hat. Es juckt, ich kratze mich und verstärke das Ekzem. Ich bin ein einschlägig gebildeter Amateurmediziner (Tausend Zeitungsartikel! Tausend Fernsehsendungen!) und weiß als solcher, daß ein Ekzem zur Hälfte durch eine Allergie und zur anderen Hälfte durch ein ungesund gewordenes Seelenleben entsteht. Kühl diagnostiziere ich (und kratze mich dabei): Noch schneller als geplant mußt du dein Frauenproblem lösen. Ich betrete eine wunderbar saubere, total schweizerische Apotheke und halte meine rotglühende Hand über die Theke. Eine junge Apothekerin sagt: Ich kann Ihnen im Augenblick nur eine Creme verkaufen, die den Juckreiz mildert. Am besten ist, Sie gehen zum Hautarzt.
Ich bedanke mich und kaufe das kleine Döschen. Draußen creme ich mir die Hand ein und tue eine Weile so, als hätte ich mich endgültig für Sandra entschieden. Nein, für Judith. Ich gehe langsam und schwenke meine mit Creme vollgeschmierte Hand im Wind. Wenn ich mich nicht täusche, läßt das Jucken schon nach. Ich betrete das Hotel und tupfe mir die oberste Cremeschicht mit einem Papiertaschentuch wieder ab, damit meine Hand nicht gar
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