Die Liebesbloedigkeit
mich wieder. Wie vorgesehen kündige ich die Mittagspause an und verweise auf den Nachmittag, an dem wir meine Thesen und die faschistisch-apokalyptische Gefahr überhaupt diskutieren wollen. Es gibt wie immer ein paar Teilnehmer, die nicht bis zum Nachmittag warten wollen. Sie folgen mir in die Lounge und nötigen mich, an einem kleinen Tischchen Platz zu nehmen. Drei Seminarteilnehmer setzen sich ungefragt dazu und verlangen Kaffee. Eine Bedienung teilt Tassen aus und bringt eine Kanne mit Kaffee. Eine andere Bedienung stellt Schälchen mit Gebäck und Schokolade ab. Die Kaffeekanne ist ein hochmodernes, vermutlich vollautomatisches Gerät. Muß man den Deckel aufdrehen, aufklappen, aufdrücken, aufschieben, aufstoßen oder aufpressen? Wahrscheinlich muß man Griff und Kanne festhalten; oder führt der festgehaltene Deckel in den Augenblicken, wenn sich die Kanne über eine Tasse neigt, direkt ins Unglück? Vielleicht muß man den Deckel nur ein Stück weit aufdrehen und dann aufklappen? Die Teilnehmer an meinem Tisch bemerken meine Angst vor fremden Kaffeekannen und sind mir behilflich. Wahrscheinlich geht alles automatisch, sobald man die Kanne in die Schieflage bringt, sagt Herr Hochmüller, ein selbständiger Kraftfahrzeugsachverständiger aus Hannover. Aber auch er hat keinen Erfolg. Immerhin reden wir jetzt nicht über Faschismus und Apokalypse, sondern über den Ruin durch übertrieben komplizierte Technik. Deswegen gerate ich nicht in Versuchung, meine Faschismus-Thesen weiter auszudifferenzieren. Eines meiner inneren Probleme ist, daß ich immer gern etwas voraussagen möchte. Jetzt sage ich voraus, daß die Verhunzung der Welt durch kaputte Geräte in kurzer Zeit dramatische Formen annehmen wird. Zu meinem Prophetie-Zwang gehört, daß ich mich fast immer inmitten von Menschen befinde, die mir sofort recht geben.
In den meisten der modernen Geräte, sage ich jetzt, geht nach einiger Zeit entweder die Mechanik oder der Motor oder die Elektronik kaputt. Es ist zu aufwendig, die Mechanik, den Motor oder die Elektronik zu reparieren, sage ich, auch sind die Leute, die die Reparaturen ausführen könnten, inzwischen gestorben, und die nachgewachsenen Mechaniker können immer nur die allerneuesten Geräte reparieren, nicht aber die etwas älteren kaputten. Zurück bleibt ein Riesenfriedhof von kleinen Technikruinen! sage ich. Die Frau des Kraftfahrzeugsachverständigen stimmt mir lebhaft zu. Anstatt Zukunft sagt sie immer Zockonft, woran ich heimlich Freude habe. Endlich bemerkt eine vorübereilende Bedienung unser Unglück mit der Kaffeekanne. Sie ruckelt und preßt so schnell an der Kanne herum, daß wir zwar unseren Kaffee bekommen, aber wieder nicht erfassen können, wie man den Deckel von der Kanne löst. Die kaputten Geräte stehen und liegen überall herum, sage ich, keiner schafft sie weg, aufräumen wäre zu teuer. Wären die Geräte von Hand betreibbar, doziere ich, wären sie auch von Hand reparierbar. Sehr gut! sagt die Wirtschaftsanwältin. Es würden sich Menschen finden, die die zerstörten Geräte retten wollten; sie würden so lange an ihnen herumbasteln, bis sie wieder funktionieren würden. Aber ein kaputtes Modul oder ein zerbrochenes Plastikteil kann niemand mit dem Werkzeug und der Hand reparieren, rufe ich über den Tisch. Also häuft sich der Technikmüll, die Verhunzung der Welt schreitet fort. Das Müllankündigungswort heißt Automatic, mit c geschrieben, damit es global Schaden anrichten kann. Denn überall, wo wir das Wort Automatic lesen, sage ich, müssen wir uns einen Müllplatz dazudenken. Das Ruinwort Automatic kündigt ihn an! Zum Glück sitzen meine Zuhörer in feinen Sesselchen, sonst würden sie mir jetzt zu Füßen liegen.
Frau Dr. Kuch drückt es deutlich aus: Sie sprechen mir aus der Seele! sagt sie und schickt einen seelenvollen Blick hinterher. Ohne besondere Absicht habe ich mich in einen nicht im Programm stehenden Nebenvortrag hineingeredet. Frau Dr. Kuch hat den Mechanismus der Kaffeekanne durchschaut. Sie fühlt sich seit einigen Augenblicken für meine Bedienung zuständig und füllt mir Kaffee nach. Da flutet eine Schar wohlhabender deutscher Rentner in die Lounge. Sie kommen offenbar von einer Exkursion zurück. Obwohl mir der Anblick der Rentner Unbehagen einflößt, bin ich für ihr Erscheinen dankbar. Sie geben mir die Chance, meinen Technikmüll-Vortrag unauffällig zu beenden. Meine kleine Apokalyptiker-Runde fühlt sich aufgescheucht. Es ist unklar,
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