Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
Vom Netzwerk:
seinen verwitterten Häusern, den kleinen, sandigen Gärten und kratzigen Rosenbüschen war seit dem Labor Day beständig leerer geworden, die Urlaubermassen entlang der Commercial Street hatten sich zu einer Bevölkerung von Kleinstädtern und dauerhaft Zugezogenen gelichtet. Als sie am Pilgrim Monument vorbeikamen, fuhr Madeleine langsamer, damit Phyllida und Alwyn es sehen konnten. Die einzigen Touristen weit und breit waren eine vierköpfige Familie, die zu dem Steinturm hinaufstarrte.
    «Kann man da raufklettern?», fragte eins der Kinder.
    «Das ist nur zum Angucken», sagte die Mutter.
    Madeleine beschleunigte. Bald erreichten sie das andere Ende des Orts.
    «Lebt Norman Mailer nicht hier?», erkundigte sich Phyllida.
    «Er hat ein Haus direkt am Wasser», sagte Madeleine.
    «Dein Vater und ich sind ihm einmal begegnet. Er war
sehr
betrunken.»
    Ein paar Minuten später bog Madeleine am Tor des Pilgrim-Lake-Laboratoriums von der Straße ab und rollte die lange Einfahrt hinunter auf den Parkplatz neben dem Speisesaal. Sie und Phyllida stiegen aus, während Alwyn mit der Pumpe sitzen blieb. «Lasst mich gerade diese Seite fertig machen», sagte sie. «Die andere mache ich nachher.»
    Sie warteten im strahlenden Herbstsonnenschein. Es war Mittag, mitten in der Woche. Der einzige draußen sichtbare Mensch war ein Lieferant mit Baseballkappe, der Meeresfrüchte für die Küche brachte. Dr.   Malkiels Oldtimer-Jaguar parkte ein paar Plätze weiter.
    Alwyn wurde fertig und schraubte den Deckel auf dieBabyflasche. Ihre Muttermilch sah merkwürdig grün aus. Sie öffnete den Reißverschluss der anderen Tasche, die, wie sich herausstellte, isoliert war und einen Kühlakku enthielt, legte die Flasche hinein und stieg aus dem Auto.
    Madeleine machte für ihre Mutter und Schwester eine kurze Führung über das Gelände. Sie zeigte ihnen den Richard Serra, den Strand und den Speisesaal, bevor sie über den Uferweg zu ihrem Haus zurückgingen.
    Als sie am Genetiklabor vorbeikamen, deutete Madeleine darauf. «Dort arbeitet Leonard.»
    «Dann gehen wir doch rein und sagen ihm guten Tag», schlug Phyllida vor.
    «Ich muss erst in Maddys Apartment», sagte Alwyn.
    «Das kann warten. Jetzt sind wir schon mal hier.»
    Madeleine fragte sich, ob Phyllida Alwyn damit bestrafen, sie für ihre Sünden büßen lassen wollte. Da sie sowieso nicht vorhatte, sich lange im Labor aufzuhalten, war es ihr nur recht hineinzugehen. Sie hatte einige Mühe, den Weg zu finden. Erst ein paarmal war sie im Labor gewesen, und die Gänge sahen alle gleich aus. Schließlich entdeckte sie das handgeschriebene Schild, auf dem «Kilimnik-Labor» stand.
    Das Labor war ein hell erleuchteter Raum organisierter Unordnung. Auf Regalen und in den Ecken stapelten sich Pappschachteln. Reagenz- und Bechergläser füllten die Wandschränke und standen in Reih und Glied auf den Labortischen. Am Waschbecken hatte man ein Desinfektionsspray stehenlassen, zusammen mit einem Karton, der irgendetwas enthielt, was Kim Wipes hieß.
    Vikram Jaitly, in einem dicken, grellgemusterten Cosby-Pullover, saß an seinem Tisch. Er blickte auf für den Fall, dass es Kilimnik wäre, aber als er Madeleine sah, entspannte er sich. Sie fragte ihn, wo Leonard sei.
    «Er ist im Dreißiggradraum», sagte Vikram, indem er auf die andere Seite des Labors deutete. «Kannst reingehen.»
    Ein Kühlschrank mit Vorhängeschloss war neben der Tür platziert. Madeleine spähte durchs Fenster und sah Leonard, mit dem Rücken zu ihr, vor einer vibrierenden Maschine stehen. Er trug ein Bandana, Shorts und ein T-Shirt – nicht gerade, was sie sich erhofft hatte. Aber es war keine Zeit, ihn zu bewegen, sich noch umzuziehen, also öffnete sie die Tür, und sie gingen alle drei hinein.
    Im Raum war es warm. Es roch wie in einer Bäckerei.
    «Hi», sagte Madeleine, «wir sind’s.»
    Leonard drehte sich um. Er hatte sich nicht rasiert, und sein Gesicht war ausdruckslos. Die Maschine hinter ihm machte ein ratterndes Geräusch.
    «Leonard!», sagte Phyllida. «Wie schön, Sie endlich kennenzulernen.»
    Das riss ihn aus seiner Betäubung. «Oh, hallo», sagte er. Er kam auf sie zu und streckte seine Hand aus. Phyllida wirkte einen Moment verdutzt, aber dann schüttelte sie die Hand und sagte: «Ich hoffe, wir stören nicht.»
    «Nein, ich habe gerade ein bisschen Routinearbeit gemacht. Ich muss mich für den Geruch hier drinnen entschuldigen. Manche Leute mögen das nicht.»
    «Alles im Dienste der

Weitere Kostenlose Bücher