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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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zu nehmen. Außerdem gab es in ihrer Beziehung inzwischen andere Probleme. Billy hatte die Gewohnheit, Madeleine tief in die Augen zu schauen, irgendwie kontrollierend. Die Verhältnisse in seiner Wohnung waren seltsam. Er wohnte außerhalb des Campus mit einem attraktiven, muskulösen Mädchen namens Kyle zusammen, das mit mindestens drei Leuten schlief, einschließlich Fatima Shirazi, einer Nichte des Schahs von Persien. An die Wand seines Wohnzimmers hatte er die Worte
Töte den Vater
gemalt. Den Vater töten, darum drehte sich nach seiner Meinung auf dem College alles.
    «Wer ist
dein
Vater?», fragte er Madeleine. «Ist es Virginia Woolf? Oder Susan Sontag?»
    «In meinem Fall», sagte Madeleine, «ist mein Vater wirklich mein Vater.»
    «Dann musst du ihn töten.»
    «Und wer ist dein Vater?»
    «Godard», sagte er.
    Billy redete davon, den Sommer über mit Madeleine ein Haus in Guanajuato zu mieten. Er sagte, sie könne dort einen Roman schreiben, während er einen Film mache. Sein Vertrauen in sie, in ihre Fähigkeit zu schreiben (obwohl sie fast noch nie etwas Fiktionales geschrieben hatte), tat Madeleine so gut, dass sie anfing, sich mit dem Gedanken anzufreunden. Und dann stand sie eines Tages auf Billys Veranda und wollte schon an sein Fenster klopfen, als irgendetwas sie dazu veranlasste, erst einen Blick hineinzuwerfen. In dem sturmgepeitschten Bett lag Billy, nach Art John Lennons, zusammengerollt an der wie ein Adler aufgefächerten Kyle. Beide waren nackt. Eine Sekunde später, in einer Staubwolke, erschien Fatima, ebenfalls nackt, die ihre glänzende Perserinnenhaut mit Babypuder einstäubte. Sie lächelte ihre Bettgefährten an, die Zähne wie Samen im purpurroten, königlichen Fleisch.
    An ihrem nächsten Freund war Maddy streng genommen nicht selber schuld. Sie wäre Dabney Carlisle nie begegnet, wenn sie nicht an einem Schauspielkurs teilgenommen hätte, und an dem Schauspielkurs hätte sie nie teilgenommen, wenn ihre Mutter nicht gewesen wäre. Phyllida hatte sich als junge Frau immer gewünscht, Schauspielerin zu werden. Aber ihre Eltern waren dagegen gewesen. «Schauspielerei, das gehörte sich nicht in unserer Familie, vor allem nicht für Damen», so pflegte Phyllida es auszudrücken. Hin und wieder, in besinnlichen Stunden, erzählte sie ihren Töchtern die Geschichte von ihrem einzigen großen Ungehorsam. Nach dem Collegeabschluss war Phyllida nach Hollywood «durchgebrannt».Ohne es ihren Eltern zu sagen, war sie nach Los Angeles geflogen und bei einer Freundin vom Smith College untergeschlüpft. Sie hatte einen Job als Sekretärin bei einer Versicherungsgesellschaft gefunden und war dann mit ihrer Freundin, einem Mädchen namens Sally Peyton, in einen Bungalow in Santa Monica gezogen. Innerhalb von sechs Monaten hatte Phyllida dreimal vorgesprochen, eine Probeaufnahme beim Film gemacht und «massenhaft Einladungen» bekommen. Einmal sah sie Jackie Gleason einen Chihuahua in ein Restaurant tragen. Sie hatte sich eine schimmernde Sonnenbräune zugelegt, die sie als «ägyptisch» beschrieb. Wann immer Phyllida über diesen Abschnitt ihres Lebens sprach, war es, als spräche sie über jemand anderen. Alton hingegen wurde still, wusste er doch nur zu genau, dass Phyllidas Verlust sein Gewinn gewesen war. An Weihnachten, im Zug nach New York, hatte sie den strammen, erst kürzlich aus Berlin heimgekehrten Oberstleutnant kennengelernt. Phyllida war nie nach L.   A. zurückgefahren. Stattdessen hatte sie geheiratet. «Und euch zwei beide bekommen», sagte sie zu ihren Töchtern.
    Phyllidas Unfähigkeit, ihre Träume zu verwirklichen, erfüllte Madeleine mit eigenen. Das Leben ihrer Mutter war das große Gegenbeispiel. Es repräsentierte die Ungerechtigkeit, die durch Madeleines Leben wiedergutgemacht werden würde. Wenn man während einer umwälzenden Bürgerrechtsbewegung groß geworden war, als junges Mädchen zur Zeit von Betty Friedan und den ER A-Märschen und Bella Abzugs unbezwinglichen Hüten heranwuchs und die eigene Identität ausgerechnet in dem Moment definierte, als die der Frauen gerade umdefiniert wurde, dann kam das einer Freiheit gleich, die sich mit allem messen konnte, was Madeleine in der Schule über die großen amerikanischen Freiheitengelesen hatte. Sie erinnerte sich an jenen Abend des Jahres 1973, als ihre Familie im Wohnzimmer vor dem Fernseher versammelt war, um das Tennismatch zwischen Billie Jean King und Bobby Riggs zu sehen. Wie Alwyn, Phyllida und sie Billie

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