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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Ford Madox Ford überhaupt folgen können. Manchmal bot Madeleine ihm einen Tee an. Statt dieser Kräutertees von Celestial Seasonings mit einer Laotse-Weisheit auf der Verpackung trank Madeleine Fortnum & Mason, ihre Earl-Grey-Lieblingsmischung. Sie warf auch nicht einfach einen Beutel ins heiße Wasser, sondern brühte lose Blätter auf, benutzte ein Sieb und einen Teewärmer. Jennifer hatte ein Poster vom Wintersport in Vail über ihrem Bett, einen hüfttief im Pulver versinkenden Skifahrer. Madeleines Zimmerseite war anspruchsvoller eingerichtet. Sie hatte sich einen Satz gerahmter Man-Ray-Fotos an die Wand gehängt. Ihre Tagesdecke und das Kaschmirkuschelkissen waren in denselben gesetzten Dunkelgrautönen gehalten wie ihre V-Ausschnitt -Pullover. Auf ihrer Kommodelagen erregend weibliche Dinge: ein silberner Lippenstift mit Monogramm, ein Filofax, das Pläne der New Yorker Subway und der Londoner Underground enthielt. Aber es gab auch Semipeinliches: ein Foto von Madeleines Familie in farblich abgestimmter Kleidung, einen Lilly-Pulitzer-Morgenmantel und einen zerlumpten Stoffhasen namens Foo Foo.
    In Anbetracht ihrer sonstigen Eigenschaften war Mitchell bereit, diese Details zu übersehen.
    Manchmal, wenn er bei Madeleine vorbeischaute, waren schon ein paar andere da. Ein rotblonder Prepster, der Lochmusterschuhe ohne Socken trug, oder ein großnasiger Mailänder in knallengen Hosen. Bei solchen Gelegenheiten benahm Jennifer sich noch weniger gastfreundlich. Madeleine hingegen war entweder so sehr an männliche Aufmerksamkeit gewöhnt, dass sie nichts mehr davon merkte, oder so arglos, dass sie nicht dahinterkam, weshalb drei Kerle auf einmal in ihrem Zimmer anstanden wie die Freier der Penelope. Soweit Mitchell es beurteilen konnte, schien sie mit den anderen nicht zu schlafen. Das gab ihm Hoffnung.
    Nach und nach ging er dazu über, statt an Madeleines Schreibtisch auf der Fensterbank neben ihrem Bett zu sitzen, und statt neben ihrem Bett zu sitzen, vor ihrem Bett auf dem Fußboden zu liegen, während sie sich eine Etage über ihm ausstreckte. Gelegentlich bekam er vom bloßen Gedanken daran, dass er einmal ihre Brust gesehen hatte – dass er genau wusste, wie ihre Areola aussah   –, einen Steifen und musste sich auf den Bauch wälzen. Trotzdem, die wenigen Male, die Madeleine etwas mit ihm unternahm, das einer festen Verabredung ähnelte – etwa wenn sie gemeinsam zu einer studentischen Theateraufführung oder Dichterlesung gingen   –, hatte sie etwas Verkniffenes um die Augen, als registrierte sie die Nachteile, die sich, sozial und in Liebesdingen, darausergaben, mit ihm gesehen zu werden. Auch sie war neu am College und suchte ihren Weg. Es konnte sein, dass sie ihre Möglichkeiten nicht zu früh beschränken wollte.
    So verging ein Jahr. Ein ganzes Jahr mit blauen Hoden. Mitchell hörte auf, bei Madeleine vorbeizugehen. Allmählich drifteten sie in unterschiedliche Kreise. Es war weniger so, dass er sie vergessen hätte, als dass er beschloss, sie sei eine Nummer zu groß für ihn. Wenn sie ihm zufällig über den Weg lief, war sie immer derart gesprächig und berührte so oft seinen Arm, dass er sich wieder Hoffnungen machte, aber erst im zweiten Collegejahr geschah etwas, zumindest annähernd. Im November, ein paar Wochen vor Thanksgiving, erwähnte Mitchell, er habe vor, über die freien Tage auf dem Campus zu bleiben, statt zu seinen Eltern nach Detroit zu fliegen, woraufhin Madeleine ihn überraschend einlud, mit nach Prettybrook zu fahren und den Feiertag bei ihrer Familie zu verbringen.
    Sie machten aus, sich am Mittwoch um zwölf am Amtrak-Bahnhof zu treffen. Als Mitchell, einen Vorkriegskoffer mit den verblichenen Goldinitialen irgendeines Verstorbenen in der Hand, dort ankam, wartete Madeleine schon auf dem Bahnsteig, mit Brille. Es war eine, die einen breiten Schildpattrahmen hatte und mit der sie Mitchell, wenn das überhaupt möglich war, noch besser gefiel. Die Gläser waren übel verkratzt und der linke Bügel leicht verbogen. Ansonsten war alles an Madeleine so gut beieinander wie immer, noch besser sogar, denn schließlich fuhr sie ja zu ihren Eltern.
    «Ich wusste gar nicht, dass du eine Brille trägst», sagte Mitchell.
    «Die Kontaktlinsen haben mir heute Morgen in den Augen gebrannt.»
    «Mir gefällt sie.»
    «Ich benutze sie nur manchmal. So schlecht sind meine Augen nun auch wieder nicht.»
    Während Mitchell auf dem Bahnsteig stand, fragte er sich, was es wohl zu bedeuten

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