Die Liebeshandlung
Schnur um die Taille gebunden, ihr Laken den Körperformen angepasst. Ihr Haar war, nach Art einer Römerin, hoch aufgetürmt undihr Rücken verführerisch bloß. Außer ihrem ungewöhnlichen Aussehen fiel Mitchell auf, dass sie eine lustlose Tänzerin war – sie hielt ein Bier in der Hand und redete mit dem Betreuer, achtete so gut wie gar nicht auf den Rhythmus – und dass sie sich mehrfach von der Party, den Gang entlang, entfernte. Als sie das dritte Mal den Raum verließ, folgte Mitchell ihr, ermutigt vom Alkohol, und platzte heraus: «Wohin gehst du dauernd?»
Madeleine stutzte nicht. Sie war daran gewöhnt, von seltsamen Typen angesprochen zu werden. «Ich verrate es dir, aber du wirst glauben, ich spinne.»
«Nein, werde ich nicht», sagte Mitchell.
«Ich wohne hier im Haus. Ich dachte mir, wenn alle zur Party gehen, sind die Waschmaschinen frei. Also habe ich beschlossen, gleichzeitig zu waschen.»
Mitchell nippte an dem Schaum, ohne die Augen von ihr abzuwenden. «Kann ich helfen?»
«Nein», sagte Madeleine, «ich weiß schon, wie das geht.» Als hätte das vielleicht gemein geklungen, fügte sie hinzu: «Du kannst ja mitkommen und zuschauen. Waschen ist ziemlich aufregend.»
Sie ging den betongeziegelten Gang entlang, und er folgte ihr.
«Weshalb hast du keine Toga an?», fragte sie.
«Weil es blöd ist!», sagte Mitchell beinahe schreiend. «Es ist so idiotisch!»
Das war nicht sehr geschickt, aber Madeleine schien es nicht persönlich zu nehmen. «Ich bin nur hergekommen, weil ich mich gelangweilt habe», sagte sie. «Wenn das hier nicht mein Wohnheim wäre, hätte ich mich wahrscheinlich gedrückt.»
Im Waschkeller begann Madeleine, ihre feuchte Unterwäscheaus einer Münzwaschmaschine zu ziehen. Für Mitchell war das schon erregend genug. Aber in der nächsten Sekunde geschah etwas Unvergessliches. Als Madeleine in die Trommel langte, löste sich der Knoten an ihrer Schulter, und das Bettlaken fiel ab.
Es war verblüffend, wie so ein Bild – von rein gar nichts, wirklich, nur ein paar Zentimetern Epidermis – mit unverminderter Klarheit im Gehirn haften blieb. Der Moment hatte höchstens drei Sekunden gedauert. Mitchell war nicht ganz nüchtern gewesen. Trotzdem konnte er sich jetzt, fast vier Jahre später, immer noch nach Belieben (und es war erstaunlich, wie oft es ihm beliebte) in diesen Augenblick zurückversetzen und alle sinnlichen Details heraufbeschwören, das Rumpeln des Trockners, die dröhnende Musik nebenan, den Mullgeruch des feuchten Waschkellers. Er erinnerte sich ganz genau, wo er gestanden hatte und wie Madeleine, sich gerade eine Haarsträhne hinters Ohr steckend, in die Knie gegangen war, als das Laken wegrutschte und ihre bleiche, stille, episkopale Brust sich ein paar beglückende Momente lang seinem Blick darbot.
Sie bedeckte sich rasch, blickte auf und lächelte, wohl aus Verlegenheit.
Später, nachdem ihre Beziehung zu dieser vertrauten, unbefriedigenden Angelegenheit geworden war, hatte Madeleine Mitchells Erinnerung an diesen Abend immer bestritten. Sie pochte darauf, sie habe auf der Party gar keine Toga getragen, und selbst wenn sie eine getragen hätte – womit sie nicht sagen wolle, sie habe eine getragen –, wäre die niemals heruntergerutscht. Weder an diesem Abend noch an irgendeinem anderen der tausend Abende seither habe er je ihre nackte Brust gesehen.
Mitchell antwortete, er habe sie dieses eine Mal sehr wohlgesehen und bedaure wirklich, dass es nie wieder dazu gekommen sei.
In den Wochen nach der Togaparty erschien Mitchell oft unangekündigt in Madeleines Wohnheim. Nachmittags nach seinem Lateinkurs ging er durch die kühle, von Laubgeruch erfüllte Luft zum Wayland Quad und, während ihm Vergils daktylische Hexameter noch durch den Kopf hallten , die Treppe zu ihrem Zimmer im zweiten Stock hinauf. Dann stand er bei Madeleine in der Türöffnung oder saß mit etwas Glück an ihrem Schreibtisch und gab sich alle Mühe, amüsant zu sein. Madeleines Mitbewohnerin Jennifer warf ihm jedes Mal einen Blick zu, als wüsste sie genau, weshalb er da war. Aber zum Glück kamen die beiden wohl nicht so gut miteinander aus, und Jenny ließ sie meistens allein. Madeleine schien sich immer zu freuen, wenn er hereinschneite. Sofort erzählte sie ihm von dem, was auch immer sie gerade las, während er nickte, als würde er – so dicht an ihr dran, dass er den Duft ihres frisch gewaschenen Haars in der Nase hatte – ihren Gedanken über Ezra Pound oder
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